Geschöpfe

Das Publikum macht den Publikumspart: es lacht. Die grosse Frau und der kleine Mann aus «Should I Do The Man’s Part» drehen derweil Runden und erforschen ihre Körperlichkeiten. Es kein böswilliges Lachen, am besten vielleicht ein Lachen über sich selbst – was daran eigentlich so lustig ist, wenn eine grosse Frau und ein kleiner Mann gemeinsam durch den Raum hüpfen, fragt sich gerade auch dieses Stück.

Es gehört zu den Publikumslieblingen am diesjährigen Oh Body!-Festival, das mit einem feministischen Blick nach den Körpern fragt, das Körperliche feiert und es transzendiert. Das tut in diesem Jahr natürlich besonders gut. Und man darf sich doch freuen über dieses Lachen aus dem Publikum, als kleines Befreiungshusten und Absage an die Distanz vielleicht.

Ein paar Tage nach den Aufführungen sagt Ernestyna Orlowska, die Grosse: «Der Titel des Stück ist ein bisschen Clickbait – ‹Should I Do The Man’s Part›, dann wissen gleich alle Bescheid. Unser Spass war es dann, die binäre Erwartung, die der Titel und das Plakat schüren, ein bisschen zu unterlaufen.» Und so macht schliesslich niemand «den Mann», zum Glück, keine Geschlechtsteile wirbeln herum im Saal – und das Feld ist offen für die Erforschung von Bewegungsabläufen, Lust an der nicht kategorischen Differenz und den wortlos feinmotorischen Humor.

Was heisst das: ein Monster werden? Oder eine Gefahr? Genauer: Was könnte das bedeuten, wenn ein junger, schmaler, weisser Frauenkörper auf einmal zur Bedrohung wird? Wenn er bebt und zittert, die Muskeln sich spannen, entspannen, anziehen, sich schütteln? Wenn der Körper schreit von irgendwo tief drinnen, dass man nicht weiss, kommt das vom Schmerz, von der Wut, von der Trauer, vielleicht von allem? (Vielleicht auch von der Freude daran?) Oder das keine Rolle spielt, weil das Unbehagen vor diesem Geschöpf sowieso schon im Raum hängt. Dieses Geschöpf, das da auf der Bühne auf allen Vieren langsam vorwärts kriecht, nur in Unterhose und Hemd bekleidet, das Oberteil hochgerutscht, so dass man jeden Muskel am Rücken, den Schultern, um die Rippen, an der Hüfte sehen kann: die alle erzittern, sich zur furchigen Landschaft bilden, wenn diese Frau schreit.

«Die Hundsköpfige» heisst der Work in Progress von Marie Popall, in dem sie sich mit dem Monströsen auseinandersetzt – mit Hilfe von Belia Winnewisser (Musik) und Saskia Winkelmann (der Text im ersten Teil: die Geschichte einer Frau, die zum Monster wird und auch zu sich selbst findet; Popall sagt ihn im komplett dunklen Raum auf, gedoppelt von einer zweiten, zur männlichen verzerrten Stimme).

Ein Monster werden: Das hat mit dem Abseitigen zu tun, mit dem Abweichen von einer Norm, man kann sich, klassischerweise, auch fragen: werden oder gemacht werden? Es kann zum Beispiel heissen: einen zierlichen, weiblich gelesenen Körper als Werkzeug so benutzen, dass es beim Publikum Unwohlsein auslöst. Das ist nicht auf den ersten Blick schön.

«Eigentlich würde dieses Stück von zwei Männern gespielt, aber der eine hatte einen Unfall. Also mache ich das jetzt.» Das sagt nach der Pause Johanna Heusser, Choreografin von «Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös», das im Schlachthaus ebenfalls als Work in Progress gezeigt wird. Sie steht da in Adidasleggings und Schwingerhose und zieht ihr Oberteil aus, stellt sich neben Stefan Schönholzer, auch er mit freiem Oberkörper, in das Rund aus Sägemehl. Sie wärmen sich auf, ziehen ihre Oberteile wieder an, und dann üben sie die Schwünge, die sie schon können, spicken manchmal auf einer der mitgebrachten A4-Seiten, da sind sie alle aufgelistet. «Haagge», «Brienzer» und Verteidigung. Sehr leicht machen sie das und müssen manchmal lachen dabei. So schwingt hier nun ein weiblich gelesener Körper mit einem männlich gelesenen, und im Kopf rattert dabei immer mindestens eine zweite Ebene mit – wie das wäre, nur unter Männern, mit der Erotik zum Beispiel. Der Schönholzer sagt nach der Aufführung: «Es ist keine Absicht, aber wenn ich das mit David mache, dann ist es von Anfang an ein Konkurrenzkampf. Wirklich jedes Mal.»

Dabei geht es bei diesem Ausprobieren, Schwingen, dann Improvisieren vor allem auch um Konsens: Was willst du als Nächstes machen, worauf hast du Lust, ist das okay so für dich? Das Sägemehl spritzt und die Körper fallen, bleiben kurz aufeinander liegen, stehen sich wieder gegenüber. Und während bei Popall vorhin noch das Alleinsein wichtig war, das sich selbst Behaupten und auch wieder in der Welt Verlieren, sind Schönholzer und Heusser an etwas Gemeinsamen dran. Sie spannen eine Beziehung auf und befragen diesen so offensichtlich homoerotisch interpretierbaren, vielleicht männerbündlerischen, vielleicht auch einfach freundschaftlichen Urschweizer Volkssport nach seinen Auswüchsen ins Jetzt, zu uns.

Marie Popalls «Die Hundsköpfige» und Johanna Heussers «Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös» wurden als Works in Progress im Rahmen des Festivals Oh Body! im Schlachthaus gezeigt, ebenso Ernestyna Orlowska und Daniel Klingen Borgs «Should I Do The Man’s Part» als Uraufführung. Das Festival läuft noch bis am Sonntag, Programm hier.

Fotos: Viviane Stucki (1) und Alice Galizia (2)