Unbelehrbar, uneinsichtig, arrogant

Er fühlt sich schon seltsam an, der so leere öffentliche Raum, in dem ab und zu ein grünbemanteltes Wesen mit grossem roten Würfel auf dem Buckel vorbeirauscht, und der sonst vor allem von Polizei bevölkert scheint: Zweierteams zu Fuss, Zweierteams auf dickbereiften, maximalgefederten Velos, Zweierteams im Auto, offiziell und zivil, Zweierteams mit zwei Metern Abstand, auf dass die Stadt es endlich verstehe: geht auseinander. Geht nach Hause, auch wenn ihr keins habt.

«Uns erscheint es in der jetzigen ausserordentlichen Situation wichtig, dass wir im öffentlichen Raum noch mehr präsent sind», sagt Martin Schudel von der Polizei Bern Süd in einem Interview mit der BümplizWoche. Und schwärmt vom Verständnis und der Dankbarkeit, die ihm und seinen Kolleg*innen von der Berner Bevölkerung entgegengebracht werden. Dennoch: «Nicht zu leugnen sind aber auch die Unbelehrbaren, die nicht bereit sind, sich an Regeln zu halten, oder aber bewusst die Provokation suchen.»

Dem Bund derweil sagt der Mediensprecher der Kantonspolizei St. Gallen, Hanspeter Krüsi, es sei «erfreulich, dass die Disziplin von Tag zu Tag besser geworden sei – die Bevölkerung habe zunehmend gelernt, was erlaubt sei und was nicht.» «Uneinsichtige und arrogante» Personen, die sich auf abgesperrten Plätzen aufhielten, seien aber gebüsst worden.

Es scheint im aktuellen Klima weniger denn je akzeptiert, «unbelehrbar», «uneinsichtig» oder «arrogant» zu sein, sprich, den Anweisungen der Polizei nicht widerspruchslos zu folgen. Vieles ist ungewiss und vieles irgendwie auch unverständlich, wenn auf einmal 22 Personen mit Transparenten und Mundschutzmasken reichen, um als Demonstration zu gelten. Das soll eine Demo sein – 22 Personen mit je zwei Metern Abstand untereinander? Kontrolliert und gebüsst wurden alle Demoteilnehmer*innen trotzdem, schliesslich herrscht die Seuche und damit ein Demonstrationsverbot, dessen Ausführung angesichts solcher Episoden doch ziemlich fragwürdig ist.

In der WOZ hat Anna Jikhareva präzis beschrieben, was passieren könnte, wenn Autorität unhinterfragt bleibt – gerade, wenn Staaten anfangen, Sicherheit systematisch über Freiheitsrechte zu stellen und sie mit repressiven Mitteln durchzusetzen. Die Polizei scheint da gern ein Teil davon zu sein, schreibt Jikhareva, und warnt: «Wo die Befugnisse erweitert werden, ist zuweilen auch die Willkür nicht weit.»

Ganz egal eigentlich, welcher Zustand gerade herrscht: Wer seine Rechte kennt, kann sich Repression und möglicher Willkür durch Polizei und Sicherheitsdienste besser zur Wehr setzen. Und weil es manchmal furchtbar kompliziert sein kann, sich Wissen darüber zusammenzusuchen, gibts die sehr gute, sehr übersichtliche und sehr klar formulierte Broschüre «Deine Rechte» nun als App. Seit über zwanzig Jahren gibt es die Broschüre schon, herausgegeben wird sie heute von der Gassenarbeit und den Demokratischen Jurist*innen Bern. Im März ist die achte Auflage erschienen, mit entsprechenden Anpassungen nach der Polizeigesetzrevision. Die App soll den Zugang dazu noch niederschwelliger machen – und informiert so knapp und unkompliziert über die Rechtslage in verschiedensten Bereichen: Was tun, wenn du kontrolliert, gefilzt oder verhaftet wirst? Wenn du Drogen dabei hast? Wenn du eine Hausdurchsuchung erlebst? Im Grunde eigentlich: Was darf die Polizei, und vor allem – was darf sie nicht?

Das Virus ist ernstzunehmen. Die eigene Bewegungsfreiheit, die eigenen Rechte aber auch. Und wenn die Polizei in den Medien von Disziplin spricht und von «Unbelehrbaren», dann sollte einem das zumindest ein wenig suspekt vorkommen.

Die App «Deine Rechte» gibt es hier für iOS/Apple und hier für Android. Analog gibts die Broschüre natürlich nach wie vor, sie kann für 2.- via deinerechte[aet]gassenarbeit-bern.ch bestellt werden. 

(Bild: Demo «Asylcamps evakuieren» während der Pressekonferenz des Bundesrates am 16. April. Freundlich geklaut bei Fabian Kohler)