«Nachhaltigkeit ist ein schwieriges Wort in dieser Branche»

Nina Jaun ploppt im Zoomfenster auf. Sie sitzt auf dem Balkon einer Wohnung in Kairo, unten hört man die Roller hupen. Jaun ist Teil von NCCFN, einem Berner Modelabel, das aus Restposten und Überproduktionen neue Kleider herstellt und sich somit auch kritisch in Stellung bringt. Modeschauen in der alternativen Szene, zuletzt aber auch eine Kooperation mit YB, bei der Einteiler aus gelbschwarzen Fanschälen und Röcke aus überschüssigen Trikots entstanden. Was hat es mit Upcycling auf sich, der Aufwertung von Material? Wer profitiert schlussendlich und wie passt eine Untergrundmarke zum Megakonzern?

In Kairo arbeitet Jaun gerade als Artist-in-Residence von Fashion Revolution Schweiz und Ägypten, unterstützt von Pro Helvetia. Fashion Revolution ist eine globale Initiative mit Organisationen in über hundert Ländern. Sie wurde 2013 als Reaktion auf den Fabrikeinsturz von Rana Plaza in Bangladesch gegründet, bei dem über 1100 Arbeiter:innen starben. Drei NCCFN-Leute wohnen aktuell in der ägyptischen Hauptstadt und arbeiten jeweils mit einem:einer lokalen Designer:in zusammen. Ein dichtes Vermittlungsprogramm steht auf dem Plan. Sie lernen alte Handwerkstechniken, die verloren zu gehen drohen, aber auch die Szene und Ateliers kennen. Alaa Abo El Goud, die mit Jaun zusammenarbeitet, hat ein Wohnatelier in Garden City, direkt beim Tahrir Square, da, wo vor elf Jahren in Ägypten die heute längst gekonterte Revolution begann.

«Ich mache gerne Kleider und setze mich mit Mode auseinander», sagt Jaun. «Aber es ist ein abgefucktes Business, man spricht ja von Modern Slavery. Dann ist Mode die zweitgrösste Umweltzerstörerin, nach dem Erdöl. Und auch das fliesst durch fast alle unsere Kleider, in Form von Polyester zum Beispiel. Als Designerin bin ich kreativ, aber in erster Linie auch Konsumentin. Ich bin abhängig, vom Faden bis zum Reissverschluss. Sachen wiederzuverwerten, die sonst weggeworfen würden, machen es leichter, sich trotzdem in diesem System zu bewegen.»

NCCFN arbeitet auch mit grossen Konzernen wie Adidas zusammen. «Da haben wir wenigstens eine Referenz, wo die Sachen herkommen und somit eine Legitimation, warum wir mit dem Material überhaupt etwas Neues schaffen. Wenn man Stoffe kauft, ob hier auf dem Markt in Kairo, im Brocki oder beim Stoffladen vom Loeb, weiss man selten, von wo die Baumwolle kommt, wo gefärbt wurde oder gewoben.»

Viele andere Upcycling-Projekte, die kleine Stückzahlen produzieren, kaufen Kleider von Brockenhäusern und Flohmärkten. Dort landen auch immer mehr Produkte von Fast-Fashion-Riesen wie beispielsweise Shein. Die Wiederverwertung gibt den menschenunwürdig produzierten Kleidern einen neuen Wert – und verschleiert gleichzeitig die Missstände. Beim Upcycling von Teilen grosser Marken tritt dieser Mechanismus noch akzentuierter hervor – auch eine kreative Chance? Es mache natürlich Spass, mit Sachen zu arbeiten, die in der Gesellschaft eine starke Referenz haben. Aber das ist auch Greenwashing. Die Marke wird immer noch verkörpert, auch wenn ein Logo umgekehrt vernäht auf den Kleidern lande. «Es laufen ja sowieso alle beispielsweise mit TN-Turnschuhen von Nike rum, auch in der alternativen Szene, so ist halt Mode – man macht es trotzdem. In Kairo habe ich Sandalen mit riesigem H&M-Logo gesehen, sowas würde bei uns niemand tragen. Aber hier hat Fast Fashion einen ganz anderen Stellenwert, weil sie für die meisten nicht billig ist.»

Und die Zusammenabeit mit YB? Es sei zu einer Fehlproduktion bei Nike gekommen, dem Hauptsponsor der Young Boys, die dann von NCCFN weiterverwertet wurde. Dabei geht es Jaun auch um die Vergegenwärtigung der schon geleisteten Arbeit im globalen Süden. Fehlproduktionen von Grossmarken passieren oft aufgrund der extrem globalisierten Arbeitsteilung, an ihren Schnittstellen gehen Informationen verloren. «Wenn wir etwas machen, versuchen wir möglichst alle Schritte bei uns zu vereinen. Wir trennen nicht zwischen Konzeption und Umsetzung. Und wir gehen auch nicht zu einer Modelagentur, da fragen wir lieber unsere Freunde.» NCCFN sei wirklich etwas wie eine Community. Abgesehen vom Kernteam sind bis zu fünfzig Personen Teil des Prozesses.. Und sie setzen bei ihren Produkten auf eine solidarische Preispolitik, Prix libre. «Wir sind uns bewusst, dass wir mit unserer Arbeit nicht die Welt retten. Aber wir wollen auf eine andere Realität hinweisen.»

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Novemberausgabe des KSB Kulturmagazins.