Postkarte aus Basel

Schon zu spät, drei ab, und die Ampel will nicht grün werden. Über die Dreirosenbrücke, rechts, beim Migrolino neben der Psychiatrie runter und ich bin da. Die anderen warten schon im Waschraum für die grossen Abfallautos. Viele Tische, beschriftete Kübel und die Objekte unserer Begierde – blaue Bebbi-Sägge, fein säuberlich etikettiert. Für eine Studie sollen wir die Zusammensetzung von Abfallsäcken erfassen. Der Sack kommt auf den Tisch, die Infos auf das Klemmbrett, das Teppichmesser führt den stinkenden Kaiserschnitt aus. Wir tragen alle Schutzanzüge, Handschuhe und FFP-3 Masken, aber statt Intensivstation und Intubationsschläuchen angeln wir mit Grillzangen nach schwarzen Bananenschalen und Happy-Meal-Spielzeug.

Unerwartet intim ist diese Arbeit. «Ich würde sagen alleinerziehend, maximal zwei Kinder.» Meine Tischnachbarin nickt: «Mit Katze!», und schüttelt das angefaulte Nassfutter in den Foodwaste-Kübel. Was wir tun, machen sonst nur die langweiligsten Detektive – zur Identifikation von Müllsünder*innen. Zum Glück ist es noch nicht so warm, der Gestank hält sich in Grenzen. Sack für Sack arbeiten wir uns am Haufen ab. Sich aufregen über Batterien, Aludosen, Zeitungen bringt hier nichts, den moralischen Zeigefinger steckt man sich am besten direkt in den Arsch. Wir sind Eindringlinge, sortieren ein Dutzend Tavernello-Tetrapakwein in den einen Kübel, Medikamente gegen Säurereflux in den anderen.

Ach KVA, Ort des Feuers, grosser Kamin. Du bist meine Orientierung in diesem immer trostloseren Basler Stadtbild, wirkst immer blasser gegen die Türme der Pharmagiganten. Bist mein einziger erhaltener Bubentraum, eines Tages auf der Leiter des grossen orangen Autos zu stehen.

Ach KVA, Ort des Drecks, grosser Equalizer. Alle machen und alles macht Müll, macht Resten. Die Hummerscheren und das Fertigmenü landen im selben Feuer. Ajvar und Fasnachtküchlein, Fine Food und Prix Garantie, Pillendosen und Proteinpulver.

Ach KVA, Ort der Tilgung, grosser Schlund. Du, unser grösster Stolz als saubere Schweiz, glänzende Schweiz. Lässt uns aufatmen, wenn wir von «da äne» zurückkommen, lässt uns durch saubere Strassen zur Arbeit schreiten. «Before the choreography of employment the streets must be wiped clean», soll W.E.B. Du Bois mal geschrieben haben.

Aber eben, ich bin ja da zum Arbeiten. Karton zu Karton, tote Blumen in die Gartenabfälle, Plastiksäcke in den Kunststoff. Ich liebe dich, Dreck, aber in ein paar Stunden stehe ich unter der heissen Dusche.