031 / 079 / XXX: Swiss Quality

Ich bestelle mir für meine Wohnung einen Festnetzanschluss. Und bekomme eine 031-Nummer. Endlich, denn das ist eine Vorwahl, die hat noch Street-Credibility, während 079 längst zum neuen 0815 verkommen ist. Aber mein Weg zum Haustelefon wird zum Horror-Trip durch die Grauzonen des Kapitalismus, eine Zeitreise in prädigitale Zeiten und ins letzte Jahrtausend. Und alles glänzt in unverfänglicher Schweizer Standortmarketing-Lingo.

Für fünf Franken erstehen wir ein frühdigitales Swatch Twinphone deluxe. Mit diesem Gerät lässt es sich gleichzeitig mit dem Hörer und mit der Rückseite des Basisgeräts telefonieren. Es ist also ziemlich cool, funktioniert aber nicht. Wir gehen extra in ein Fachgeschäft im Breitenrain, es ist eines dieser Geschäfte, die jeweils noch über Mittag eine Stunde schliessen, um dort ein Kabel zu kaufen, welches das Swatch Twinphone deluxe mit dem Router verbindet und trotzdem funktioniert es nicht. Ich rufe einige Male beim Kundendienst meines Telekom-Anbieters an, aber die können mir auch nicht helfen. Also gehe ich los, um mich im SpeedyCash nach einem anderen Gerät umzusehen.

Im SpeedyCash läuft irgendein Reggeaton-Hit, der Verkäufer im roten Polo-Shirt reagiert auf meine Frage nach Telefoniegeräten nur ungern und sagt, dass nichts in die Richtung da sei. Ich schaue mich noch etwas um und irgendwie kommt mir alles etwas seltsam rein, aber ich komme nicht drauf was genau sein könnte. Vielleicht liegt es daran, dass nur Männer da sind: Die Verkäufer und die Kunden, die eigentlich nur da sind, um an der Theke im Kellergeschoss irgendwas zu verticken. Der Spannteppich verschluckt jedes Geräusch und verbreitet einen seltsamen Geruch. Dieser Geruch und die geräuschlosen Männer erinnern mich an das Erotik-Kino im Ryfflgässchen. Ich hätte da mal fast einen Job angenommen, ich war damals ziemlich pleite und hatte so eine romantisierte Vorstellung von der Arbeit an der Sexkinokasse.

Eigentlich kann ich jeglicher Form von Abfuck einen Hauch Romantik abgewinnen, aber das da war dann tatsächlich einfach nur noch abgefuckt. In den beiden Sälen liefen den ganzen Tag dieselben zwei Filme in Endlosschlaufe, die meisten Gäste schlossen sich sowieso gleich in den engen Kabinen ein, wo man Geld einwarf und Filme auswählen konnte und am Ende liessen sie ihre Wichstücher überall rumliegen. Mein Job war es, die dann wegzuräumen und zu kontrollieren ob keiner in den Kabinen gestorben sei. Manche Männer schienen dort ihren Lebensabend zu verbringen, kamen morgens und blieben bis das Kino abends schloss und einer sah aus, als wäre er bereits tot.

Die einzigen weiblichen Gäste waren die Prostituierten, sie bedienten die Freier in den schmuddeligen Klos oder in der einen Video-Kabine, die grösser war als die anderen. Und wahrscheinlich auch im Kinosaal, aber das weiss ich nicht, da durften die Angestellten während den Betriebszeiten nicht rein. Der Manager stierte eine übertriebene Kontrollpolitik durch, das Inventar an Snacks und Kondomen musste drei Mal täglich gezählt werden. Der Boss war ein Fascho, ich hatte ihn nie getroffen, aber der Manager schien panische Angst vor ihm zu haben. Ich war da nur zwei Tage. Kurz bevor ich den Arbeitsvertrag unterschreiben sollte, hatte ich eine Panikattacke und ging.

Meine kurze Karriere als Erotik-Kino-Mitarbeiterin liegt zwar bereits über ein Jahr zurück, aber seither habe ich das Ryffligässchen gemieden. Ich entschliesse mich, mal wieder da vorbeizugehen und verlasse den SpeedyCash ohne Telefoniegerät. Ich gehe am Stauffacher vorbei Richtung Spitalgasse. Die Tür gleich rechts neben dem Kino steht offen, daneben hängt ein Schild mit der Aufschrift «Architekturbüro Meier». Eine Treppe führt hoch und über dem Kino: halb heruntergelassene Jalousien. Ich gehe weiter und tippe in mein Handy «Architekturbüro Meier Ryffligässchen Bern» ein. Die Suchanfrage führt mich direkt auf die Seite des Escort-Startup Gingr.ch und da steht:

«Unsere Nutten oder Escort-Service lassen Deinen Sex in der Schweiz zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Von der erotischen Begleitung bis hin zu ungewöhnlichen Sexpraktiken jeglicher Art erfüllt unser Schweizer Team all Deine noch so ausgefallenen Wünsche.»

Ich stehe beim Bärenplatz und lese weiter: «Lass Dich beim Sex in der Schweiz von reifen und extrem erfahrenen Sexpartnern im Mondschein auf der Kuhwiese am Fuße der schneebedeckten Alpen gepflegt durchvögeln.» Ich schliesse das Fenster im Telefon und gehe kopfschüttelnd weiter. Es ist Dienstagvormittag und also Markt-Tag beim Bärenplatz und am Markt, da herrscht noch Realness aus dem letzten Jahrtausend. Vorne an der Ecke verkauft einer die «Beste Lederpflege», man kann sich da hinsetzen und die Schuhe putzen lassen. «Wir sind JETZT für Sie da!» Als hätte es nie Internet-Start-Ups für Escort-Services gegeben. Als hätte es überhaupt das Internet nie gegeben.

Zuhause versuche ich nochmals das Twinphone zu installieren. Im Internet finde ich den Scan einer analogen Gebrauchsanleitung in einer Ästhetik der 90ern.«Mit dem Swatch Twinphone Deluxe macht das Telefonieren noch mehr Spass! Ihr Twinphone Deluxe wurde in bester Swatch-Qualität und nach höchstem Standard schweizerischer Technologie produziert.» Ich rufe nochmals beim Telekom-Anbieter an. Die Frau am Telefon kann immer noch nicht weiterhelfen. Ich blättere durch deren digitale Broschüre und darin steht:

«Wir engagieren uns aktiv in Fachgruppen zur Weiterentwicklung und Sicherung der weltweit anerkannten Schweizer Qualitätsstandards.»

Ich gebe auf und verkrieche mich in der Instagram-App. Diese Schweizer Standortmarketing-Lingo: Sie ändert auch nichts an der Realität. Prostitution ist immer noch Prostitution, der Inhaber des Erotikkinos und des darübersteigenden Bordells ist immer noch ein Fascho. Und mein Swatch Twinphone deluxe funktioniert immer noch nicht. Einzig die Lederschuhe, die pflegen sich noch gleich wie damals, in prädigitalen Zeiten.