Gratisarbeit in der Kultur? Ja eh! Man macht es schliesslich aus Überzeugung und aus Leidenschaft und irgendwie zelebriert man das selbstgewählte Prekariat ja auch. Und ganz ehrlich: Was wäre man denn für eine Künstlerin, wenn man nicht unter ständigen Geldsorgen leiden würde, wo bliebe die Legitimation, die Dringlichkeit, wenn man safe wäre, wenn es keine existenziellen Kämpfe gäbe. Schliesslich hat man weniger Zeit für die Selbstzweifel, wenn man sich den Kopf darüber zerbrechen muss, wie man die nächste Miete bezahlt. Ausserdem musste auch Dürrenmatt am Anfang unten durch, irgendwann, bevor der Erfolg gekommen ist, jener Durchbruch, auf den man als Kulturschaffende zu warten hat, damit man vielleicht irgendwann von seiner Arbeit leben könnte.
Der Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz hat kürzlich eine Studie zur Einkommenssituation von Autor*innen und Regisseur*innen im Schweizer Film veröffentlicht. Das Resultat ist ernüchternd, denn die Auswertungen haben ergeben, dass der durchschnittliche Lohn von Filmschaffenden in Regie und Drehbuch im Schnitt 3’633 CHF brutto beträgt. Die Studie schliesst entsprechend mit folgendem Fazit:
«Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die vielen qualifizierten Filmemacherinnen und Filmemacher insbesondere im Bereich Kino in einem absoluten Tieflohnbereich arbeiten. Die im Kinobereich erzielten Verdienste für Drehbuch und Regie reichen nicht aus, um während der Zeit, welche die Arbeit an den Filmen tatsächlich in Anspruch nimmt, in der Schweiz von diesen Einkünften leben zu können.»
An den Solothurner Filmtagen wurde dieses Problem im Rahmen einer Diskussionsrunde thematisiert, wie mich meine Facebook-Timeline informiert. Ich klicke auf einen Artikel, der die Studie und die Diskussionsrunde in Solothurn kurz zusammenfasst und scrolle dann weiter zu den Kommentaren. Marco kommentiert:
«Ich würde auch gerne meine Hobbies mit Subventionen finanzieren statt einer Arbeit nachzugehen.»
Und Othmar meint:
«Wenn ich als Wissenschafter (Partnerschaftstherapeut) ein Buch produziere, erhalte ich im Endergebnis ca. 3 Rappen pro Stunde Arbeit aufgewendet. Das weiss ich, diesen Verlust gehe ich ein. Denn das Buch ist mir wichtiger als der Entgelt. Nie käme mir in den Sinn, dass ich womöglich einen Anspruch auf einen besonderen Lohn hätte, weil ich so gut bin. Ich denke, ein Filmer sollte wohl diesselben Überlegungen ohne grössere Schwierigkeiten anstellen können? Das ist doch wirklich sehr einsichtig? Ansonsten soll er die Finger vom Metier bleiben lassen.»
Ich google kurz nach Othmar, weil es mich interessiert, was der für Bücher schreibt, aber die Suchmaschine findet nur eine Menge Leserkommentare unter irgendwelchen Artikeln. Also weiter in der Kommentarspalte, wo es längst zur Grundsatzdiskussion ausgeartet ist. Sind Schweizer Filme ganz einfach Scheisse? Was genau ist die Definition von Kunst? Rolf schreibt:
Rolf erklärt in anderen Kommentaren immer wieder den Unterschied zwischen Kunst und Kultur: Kunst werde erst dann zur Kultur, wenn sie Einfluss gewinne, indem sie von vielen Menschen konsumiert werde. Deshalb sei der Schweizer Film keine Kultur, sondern einfach «nur Kunst», weil der Schweizer Film nun wirklich niemanden interessiere. Franz hingegen hält sich kurz und meint nur, dass Menschen, die sich für die Filmbranche entschieden haben, nicht so jammern sollen, denn «auch Dürrenmatt musste am Anfang oft hart durch.» Als Andreas dann auch noch mit dem Markt kommt, habe ich genug gelesen: «Das ist halt der Markt, der spielt. Hat jemand etwas Wertvolles anzubieten, kriegt er/sie einen fairen Preis. Bei schwachen Beiträgen sinkt der Preis. Das ist nun wirklich nicht neu.»
Right, der Markt regelt alles, der Markt regelt sogar die Kultur. Das tut er ja aktuell auch aktiv in der Musikbranche, indem er fast sämtliche Musikfestivals auffrisst. Der Grosskonzern CTS Eventim kauft nämlich auf fröhlicher Shoppingtour gerade Festivals und Labels ein. Wie schädlich solche Entwicklungen für nichtkommerzielle Institutionen wie unabhängige Labels oder Konzertlokale sind, erklärt Berthold Seliger im Interview mit dem Tagesanzeiger. Er sieht in Grosskonzernen wie CTS Eventim eine akute Bedrohung der Autonomie und warnt vor einer Vereinheitlichung der Konzertkultur. Der Markt regelt gar nichts, der Markt macht die Vielfalt kaputt. Regeln muss das jemand anders. Der Staat zum Beispiel, mit angemessener Subventionierung oder mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Das wäre jedenfalls eine sehr kulturfreundliche Massnahme. Und was Rolf in der Kommentarspalte zu den prekären Löhnen in der Filmbranche über Kultur gesagt hat, formuliert Berthold Seliger gerade andersrum:
«Mit welchem Anspruch gehen denn Kulturarbeiter ihre Arbeit an? Wo bleibt die Ideologie? Will man Kultur machen, oder will man reich werden? Beides geht vermutlich nicht. Zum grossen Glück gibt es ja immer noch so viele tolle Clubs in der Schweiz, die nicht bloss den Profit im Sinn haben. Hier werden die neuen Stars herangezüchtet. Die Rolling Stones und die Beatles sind ja auch nicht in den Stadien gross geworden, sie wurden in den Clubs aufgebaut.»
Nein, natürlich muss Kultur nicht kommerziell sein und niemand erwartet, davon reich zu werden. Wer in der Schweiz ein alternatives Konzertlokal betreibt oder ein Indielabel, wer Filme macht oder Kunst, wer ein unabhängiges Kultur- oder Musikmagazin gründet, tut das bestimmt nicht fürs Geld. Man tut es, weil man es für gesellschaftlich relevant hält. Man tut es wegen der Leidenschaft und des Idealismus, weil man die Szene liebt und dazu beitragen möchte, dass es nichtkommerzielle Räume gibt, wo Kultur wachsen und sich entwickeln kann. Aber Kultur professionell zu betreiben und davon einigermassen leben zu können, das wäre schon schön.