Auf der Suche nach dem perfekten Arm

Sonntagabend im Sexkino Corso in der Länggass, eingeladen vom Schwobhaus im Rahmen des Connected Space. Draussen hängt ein Schild; heute sei ausnahmsweise geschlossen und ebenfalls draussen und im schummrigen Rotlicht: Vernissagenpublikum mit Zigaretten. Drinnen steht Christoph Studer-Harper vor der grossen Leinwand, er trägt Leder und in der hinteren linken Hosentasche ein rotes Halstuch, der Hanky Code für Fisting in der penetrierenden Rolle. Er legt seine Lederjacke ab, schiebt sich die Ärmel hoch und zieht schwarze Latexhandschuhe über seine Hände. Dann beginnt er dem imaginären Mann, der vor ihm in einer BDSM-Schaukel liegt, einen Finger nach dem anderen rektal einzuführen, bis die ganze Hand und sein Arm bis fast zum Ellenbogen in diesem imaginären Mann stecken. Hin und wieder greift er zum Gleitmittel, das dann zwischen Studer-Harper und dem Imaginären Fäden zieht. Das Ganze ist mindestens so poetisch wie hardcore, die Performance wird als Schattenspiel hinten auf die grosse Kinoleinwand geworfen und während Christoph Studer-Harper konzentriert fistet, erzählt er von der Geschichte und Soziologie dieser Praxis, die vor allem unter homosexuellen Männern praktiziert wird und er erzählt die tragische Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach dem perfekten Arm für sein Rektum starb, an einer Infektion oder an Aids, man weiss es nicht so genau.

Nach dieser Performance, die den Titel «Schattenfisten» trägt, gibt es eine Pause, alle stehen wieder rauchend draussen im Rotlicht, jemand macht Drinks auf Trockeneis. In einem der beiden kleineren Säle läuft irgendein normativer Durchschnittsporno in Endlosschlaufe, über den man mit einem Tool drüber zeichnen kann. Im Film nimmt eine Frau einen Schwanz in den Mund und danach fickt er sie von hinten, aber das sieht man gar nicht so genau, weil einige Schichten Paint-Gekritzel den Film überlagern. Will man ja irgendwie auch nicht so wirklich sehen, oder zumindest will man das nicht zugeben. Heute geht es ja schliesslich um eine gesellschaftskritische, poetische und metaphysische Auseinandersetzung mit Sexualität.

Später läuft «La Petite Mort» auf der grossen Leinwand, ein Interviewfilm, in dem Frauen verschiedenen Alters und verschiedener sexueller Orientierung über ihre Sexualität sprechen. Es geht um Orgasmen, um Konditionierung, um Scham und Befreiung. Um die Entdeckung, ein Recht auf Lust zu haben und darauf, jene auszuleben, und um die Erkenntnis, dass es wohl noch ein paar Generationen dauern könnte, bis die sexuelle Befreiung wirklich kickt. Und natürlich auch darum, dass Aufklärung immer noch auf eine komplett unzulängliche, normative und toxische Art betrieben wird. Es ist ein sensibler Film, der viel Raum für Verletzlichkeit lässt und auch für die Zurückhaltung durch die grosse weibliche Scham. Die Frauen, welche in «La Petite Mort» sprechen, drücken diese Scham zwar aus, aber es gibt keine Meta-Scham, sie schämen sich nicht für sie und das ist irgendwie schön. Schliesslich steckt in der Scham auch viel Potential, zum Beispiel die Selbstermächtigung im Moment ihres Überwindens. Es ist jene Scham, die der tragische Antiheld in Christoph Studer-Harpers Erzählung im Extrem überwunden hatte, um ausserweltliche Erfahrungen zu machen und am Ende daran zu sterben; auf der Suche nach dem perfekten Arm für sein Rektum.

Das Schwobhaus ist noch ein weiteres Mal im Kino Corso zu Gast: Am Sonntagmorgen, 12. Januar, wird zum Brunch geladen. Mit sexy Food von Roman Pappa und Jazmins Tacos Performance Miau Miau Sex & Pleasure Brunch.