Biennale Sportivo

Basel SBB, Dienstagmorgen, noch vor halb sechs. Richtig schnell hingefahren mit dem Velo. So früh aufstehen macht immer nervös, wenn man dann wegfährt und nicht arbeiten muss. Sport ist Mord, wir ziehen uns den Rauch der ersten Zigarette in die geöffneten Lungenbläschen. Wir fahren an den Kunstmarathon, la Biennale di Venezia. 23 Kunststudis aus Basel, irgendwie haben es alle auf den Zug geschafft – und Abfahrt.

Kurzes Ankommen in der Unterkunft, dann gleich Startschuss. Erstes Etappenziel ist das Arsenal. Die ehemaligen Werft war der grösste vorindustrielle Produktionsbetrieb der Welt und Wegbereiterin für den Übergang vom Merkantilismus in den Kapitalismus. Jetzt bietet sie Unterschlupf für die megalomanische Ausstellung «The Milk of Dreams». Der Name basiert auf dem gleichnamigen Buch von Leonora Carrington, voller surrealistischer und mysteriösen Geschichten. Cecilia Alemani hat die über 200 Positionen kuratiert, viele aus dem globalen Süden und fast ohne Cis-Männer. Im Laufschritt gehts vorbei an Haraway und Le Guin, Totems und Cyborgs, kilometerlang. Der zeitgenössische Diskurs transpiriert, durch die zum Teils riesigen Werke aus Stoff und Lehm. Mit Doppio-Doping und Spritz fürs Motörchen schafft man es bis zum Ausgang und ahnt beim Versuch alles aufzusaugen schon den kommenden Muskelkater in allen Sinnesorganen.

Doch aufatmen geht noch lange nicht. Frühmorgens wieder los, Touri-Slalom über hundert Brücken und Pflasterstein. Nun stehen die Giardinis an, mit den grossen Länderpavillions und dem Rest der Hauptausstellung. Das Hirn übersäuert bald, immerhin wird auch hier oft das diesjährige Motto aufgenommen. Der nordische wird zum indigenen Sámi Pavillion und die Niederlande tauscht mit Estland. Die imposanten, zum Teil hundertjährigen Bauten und die kleineren Pavillions, die in der Stadt verteilt sind, geben einem immer mehr das Gefühl, an der Expo zu sein, an einer ausufernden Leistungsschau. Nicht selten, meist wenn das Land keine eigene starke Kulturförderung hat, haben Tourismusministerien starken Einfluss auf die Kuration. Man beisst sich durch, aber wo dieses Gefühl – durch Positionen von indigenen und rassifizierten Menschen – sogar verstärkt wird, sind die ausgehandelten Ambivalenzen immer noch interessanter und dringender als der sonst gegenwärtige, männlich-weisse Kanon.

Nach über 40 Kilometern Kunstlauf ist es aus, die Ziellinie verschwimmt. Wer gewonnen hat: unklar. Als man die schmerzenden Beine im Zug streckt, bleibt er plötzlich für zwei Stunden stecken, mag nicht mehr. Auf der folgenden Carfahrt von Montreux über Bern, welche uns die Verspätung beschert hat, bläst uns die Air-Condition fiebrige Träume über die schwitzenden Körper. Guarisci presto e addio.