Bis wir nicht nur Plenum und Pathos sind

Zwischen Hamburg und Bern, zwischen Rave und Protest. «Wenn aber nicht mal getanzt wird, sondern nur gesoffen? Wenn Protestwellen irgendwo in der Stadtwüste versanden?» Ein literarischer Gastbeitrag von Elena Maria Mauerhofer.

Wieder in Bern, wieder auf der Strasse, wieder im Club, wieder im Rave. Schlussamend spielt es auch keine Rolle, welche Stadt. Die Nächte sind die gleichen, egal ob hell farbig im Leuchttafellicht der Reeperbahn oder im matten Schein der Sandsteinstadtlaternen. Drinnen und draussen, verlieren sich die Alltagslasten, das Müssen und Sollen, lösen sich auf im gemeinsamen Exzess, im Liquiden und Pulver, bis man irgendwo in einem Wohnzimmer neben nackten Körpern aufwacht.

Das Drinnen und Draussen, das dort, weil wir dort sind, ist es unser Platz?

Vorplatz.

Sie werden jünger oder ich älter. Gleiche Teile im Legoland der nächtlichen Trunkenheit. Mambo No. 5 aus den Boxen, wie damals, als ich noch Cola Rum ins Maul und auf die Jacke beim plötzlich erklingenden Lieblingstrack schüttete.

Damals in Hamburg, damals in diesem heissen Sommer 2017, durchbrach dieser eine Rave am Mittwochabend die drückende Hitze der Angst, das ständige Surren der blauen Fliegen in der Luft, die Wanzen im Rücken, wieder mal blaue Playmobilmännchen in Formation rausgraus, wäre lustig, wenn sie nicht wirklich nur Plastik wären, im Blick, im Schlag. Robocop Riot Stopp. Damals 1 tanzende Menge nahm sich den Raum, die Strassen, die Stadt.

Bass Bass Beat.
Diskussionen zu Militanz und Gewalt.
Gewalttätig und friedlich.

«Barrikaden werden gegen wild anrennende Polizei und deren Wassermonster errichtet, verteidigt und später angezündet.»

Lieber tanz ich, als G20, tanzt, tanzt, tanz dich frei.

Wieder in Bern. 2019.

Wenn aber nicht mal getanzt wird, sondern nur gesoffen? Wenn Protestwellen irgendwo in der Stadtwüste versanden? Wenn wir machen aber später andere sagen, wir hätten gemacht, wie kann man da noch machen wollen?

Hegemonie.
Systemsinfonie.
Monophonie.
Küderdeponie –
Adiemerci.

Und am Ende der Nacht, wenn die letzten leergetrunkenen Seelen vor dem Kapitel rumstolpern, wenn bald die Sonne wieder da ist, mit der Sonne der Sonntag, mit dem Sonntag der Tag vor dem Montag, vor dem Alltag, vor dem Schaffen schaffen und dann geht die lustige Achterbahn wieder von vorne los, bis endlich, endlich wieder Freizeit, wieder Freitag, wieder Frei neben dem Unfrei, dem Müssen und Sollen, dem Durchhalten, besser einmal Wellnesshotel, ein Suff pro Woche, nicht dass du ausbrennst, nicht mehr ein Rädli sein kannst in dieser schönen Maschinerie, die alles zusammenhält und antreibt. In diesem ganzen Irrsinn, wie soll man da den Raum, der Raum, der nur zum Dasein ist, diesen realisieren und bewusst gestalten, wenn man mal da nur sein will.

Nicht machen.
Nicht denken.
Und bloss nicht agieren.

Ich gehe kaum noch auf Demos, ich schreie keine Parolen mehr, alerta alerta steht nur noch auf meiner Agenda, wo ich wichtige Dinge reinschreibe wie Arbeitsabgabetermine. Und ja, vielleicht stehen dort auch ein paar Pläne, von Projekten und Ideen über Räume in Bern, über deren Nutzung, über mögliche Raves mit Inhalten und Texten und Awareness-Konzept. Vielleicht ist das auch nur meine Legitimation für den 10 Stunden Rave vom letzten Samstag. Ist ja noch nichts passiert. Ist ja nur in meinem Kopf. Wenn mehr in diesem Raum, also meinem Kopf, wären, würde es mehr Menschen besser gehen, denke ich, asozialisiert, manchmal etwas im Überflug, weil der Kopf ist auch so weit weg vom Boden, von den Pflastersteinen dieser Sandsteinstadt.

Zum Glück.

Vielleicht habe ich mich auch vom Pessimismus vor dem Schützenhaus letzten Samstag anstecken lassen, infizieren lassen. Vielleicht vom Realismus vor dem O’bolles, wo man halt im Hier und Jetzt was macht, innerhalb von dem, was ist und nicht in möglichen utopischen Räumen irgendwann irgendwo. Vielleicht lassen wir uns so treiben, durch die Nacht, durch die Substanzen, weil die Gefahr, die Repression Standard ist.

Kein Event.
Nichts Neues im Süden.
Einfach so alltäglich, normal.
Standard halt.

Kein akuter Schmerz, sondern ständig dröhnender Unterton, an den man sich gewöhnt. Beschallt jede Stadt überall zu jeder Uhrzeit, Druckwelle 1984. Warum also eine andere Musik spielen für ein paar Stunden, übertönen kann nicht mal die Funktion-One.

Obwohl.

Immerhin.

Immerhin ein paar Stunden besserer Sound, tanzbarer Sound und vielleicht reicht es dann auch schon, wenn ich dich dort irgendwo treffe, drinnen oder draussen, mit dir rede, meine Worte mit deinen Worten austausche, deale, eine Deal-Area entsteht, eine gemeinsame Sprache, in der Höhe – Face to Face – diese Sprache die neue Melodie ist, die lauter und lauter wird für alle Süchtigen und Abhängigen und Abgehängten.

Musikfestival der Worte von den besten Köpfen der Gesellschaft.

Bis wir nicht nur Plenum und Pathos sind.
Sondern eine Universalsprache.
1 Song, ein Song für alle und überall.
Spiel, spiel mir, spiel mir dieses eine …

Spiel mir das Lied vom …
Adiemerci.