Eine Fiktion aus dem Zivildienst –
Und nein, nicht Beaumont im Mattenhof, sondern etwa 35 Kilometer nordwestlich davon. Der Beaumont ist auch die Belle Etage von Biel – so ungefähr, was in Bern der Spiegel. Dort stecke ich mit Andrea und Yassin auf einer Treppe zwischen formbraven Häuschen aus den Fünfzigern und überwucherten Pergolas fest, in einer lichten, aber schwerfeuchten Wolke, samt Formica-Küchentisch (ein Schweizer Kultstück). Zivildienst in der Brockenstube steht an – bei der Heilsarmee.
Armee nicht gut, Mogadishu kaputt, kaputt.
Yassin ist 52 Jahre alt und vor über deren zwanzig aus der Hauptstadt Somalias geflüchtet, er ist sechsfacher Grossvater und spielt am liebsten Gitarre – zum Geldverdienen war er Autolackierer, dann kam dieser Bürgerkrieg. Er erzählt mir von den Milizen, dem Militär, Plündereien, von Discos, die ausbrannten, von seiner Odyssee und abstürzenden Sikorsky UH-60 Hubschraubern. Jetzt schleppen wir zusammen Möbel und sitzen im Lastwagen, fahren unsere Beute ans Trockene. Der Morgendunst verdichtet sich uns zu einer schwarzen Rauchfahne, die über Biel zieht – Black Hawk Down im Beaumont.
Zweite Tour dann mit Semere aus Eritrea, zu Herr und Frau Hurni – irgendwo zwischen Studen und stumpfgemähten Maisfeldern – Räumung planen. Sie wollen ihr Haus verkaufen, aber das ist gar nicht so einfach, zu ballungsferne Lage. Die eigenen Kinder haben kein Interesse, aber für sie zwei ist es mittlerweilen zu gross und diese Treppen und überhaupt. Die Inneneinrichtung reflektiert ein solides, mittelständisches Leben: wenig Design, viel Spannteppich. Herr Hurni war sein Leben lang bei derselben Firma, Frau Hurni stabile Hausfrau, zusammen unterwegs mit Kuoni um den Globus, am liebsten Amerika und Afrika – davon zeugen T-Shirts, Souvenirs und in glänzendem Stahl gerahmte Fotos, randabfallend. Nach der Offerte gibts Kaffee aus klassischen Langenthal-Tassen, Modell Savannah Sahara: dunkler Rand und EKG-Muster in Brauntönen. Hurnis sind äusserst herzliche Leute.
Semere, 27, technischer Operationsfachmann, wurde an seinem Arbeits- und Wohnort, dem Spital, von der Armee an die Waffe gezwungen und desertierte, liess sich durch den Sudan bringen, überquerte grüne Grenzen und schaffte es vom Schlauchboot schliesslich nach Italien. Er erzählt, während wir im Keller der Hurnis gelbe Kleberli auf gute Ware kleben.
Ich habe Glück gehabt, aber was soll das hier, dieses System ist nicht gut.
Ich brosme kleinlaut etwas Sozialkritisches und gestehe Semere auf seine Nachfrage hin, dass ich mein Studium abgebrochen habe – ich solle mich nicht schämen, sagt er, und noch einmal: Dieses System ist nicht gut.
Mittagspause ist nur eine knappe Stunde und in meinem Kopf stürzt nochmals ein Helikopter ab – ein BMW M3 rempelt in einen VW Amarok, es passiert nichts als leicht gedelltes Plastik, trotzdem Zetermordio der Besitzer, dazu würge ich an einem trockenen Schwamm von Hot Dog aus der Coop-Tankstelle. Man kann nicht mal angenehm sitzen dort, weil da jemand so angeschrägte Eisenbahnschwellen auf die Betonsockel hinter der Autowaschanlage geschraubt hat, neben dem Schrebergarten: Damit man dort nicht chillen kann, ich versteh schon. Aber chillen wäre nötig.
Am Nachmittag ist mir etwas schlecht, die Asylos sind im Sprachkurs und wir nun drei Schweizer im Lastwagen. Der nächste Auftrag wartet noch weiter oben als der Beaumont, die Luft wird dünn. Es geht dann zum Glück erstmal die Treppe runter, in ein fensterloses Zimmer einer Villa. Aber die Lage verkompliziert sich umgehend, denn in dem Haus geistert ein Grosi rum, so scheints zumindest der Frau, die uns anheuert. Ein Schminktisch im Jugendstil samt bodenbündigem Kristallspiegel muss weg, weil ihr Hund sich darin immer vor sich selbst erschrecke. Und sowieso ziehe sie am Samstag aus ob all dem Spuk, aber das Möbel müsse jetzt ganz verschwinden, trotzdem. Im Hobbyraum steht noch eine Dampfdusche und eine schüttere Massageliege.
Auf die Terrasse geführt, den paranormalen Aktivitäten Zeugen zu werden – geheissen, diese an einem Schattenspiel auf der Butzenscheibe des Wintergartens abzulesen – erfahren wir nebenher, dass dies einst der Wohnsitz des Omega-Chefs gewesen sei, in den Sechzigerjahren, früh gestorben. Seine Frau habe dann Besitz ergriffen und sei bis heute, zumindest auf feinstofflicher Ebene, hängen geblieben. Stichwort – und die Kommode müssen wir leider auch dort lassen, eine Schublade ist vermurkst. Die Frau soweit enttäuscht, es kommt Mitleid auf – der Hund ist wirklich scheusslich.
Auf sowas muss man rauchen. Dann fahren wir weiter auf dem Scheitel zwischen Seeland und Jura Richtung Magglingen und halten in der Nähe von der Maison Blanche, wo früher einst Kinder gepflegt wurden – Kur, klingt gut – dann Junkies (jetzt wahrscheinlich Immobilienmakler). Wir fischen eine Garnitur Gartenmöbel aus dem Einfamilienhaus-Jenga, dass man sich von solchen Südhängen gewohnt ist. Eine alte Frau sonnt sich, angelehnt im Braunrot ihres hölzernen Türrahmens, und schaut uns zu.
Ihr seid jetzt grad meine Engel, so lieb wie ihr alle drei grad lächelt und das sage ich dann nicht allen, auch wenn ihr vielleicht Räuber seid – das wäre mir egal.
Der Goldene Schuss kommt von oben – das Oktoberlicht bannt diesen Nachmittag zur Postkarte. Andrea erzählt von damals, er als Bub im Winter. Hier, oberhalb der Häuser, kam sein Vater mit ihm zum Schlittenfahren. Sein Pap war Maurer, erste Welle Gastarbeiter aus Italien und hat alles drangesetzt, seinen Söhnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Andrea ist jetzt selber 59 und eigentlich Bürolist, hatte bei den Uhrenfirmen und einer Sackmesserfabrik gearbeitet, bevor er am Computer der Bude eines Freundes bruchlandete, weil dieser sich verspekulierte. Es folgte hartes Brot, dann die Aussteuerung, Sozialamt.
Mein Vater hätte geweint – ich musste etwas Neues haben, so bin ich erzogen und dazu stehe ich, also ging ich zur Heilsarmee. In meinem Alter war es sehr schwer, etwas zu finden. Die Arbeit frustriert mich, vor allem wegen den Zankereien im Team, Ende Jahr muss jemand gehen, weil wir das Budget nicht erfüllen. Wir arbeiten zu tiefen Löhnen, nutzen Asylbewerber und Zivildienstleistende aus und trotzdem rentieren wir scheinbar nicht genug, was daran ist denn noch karitativ? Ich schäme mich manchmal für dieses Signet auf meiner Brust.
Zurück in der Brockenstube stemple ich aus, vor dem Heimgehen kaufe ich mir noch einen Space-Age-Couchtisch – weisser Kunststoffkörper von reduziert futuristischem Strich mit Glasoberfläche, für klare Durchsicht.
Dass ich Zivildienst leiste, stimmt. Alles andere muss nicht, Namen und Handlungsorte sind zufällig, Ähnlichkeiten niemals ausgeschlossen.