«Bunt = Lebensfreude»

«Wir Menschen möchten eigentlich miteinander leben, aber wir wissen nicht mehr, wie. (…) Grund genug also, in diesem Sommer auf Menschen zuzugehen, auch auf jene, die wir nicht kennen oder die anders denken.» So las ich kürzlich im Editorial des Ensuite, das mir irgendwie zwischen die Finger geriet. Oha, dachte ich, und blätterte weiter: «Stille ist in der heutigen Zeit, in der unsere Aufmerksamkeit ständig gefordert wird, ein rares, kostbares Gut.» Ganz hinten im Heft dann: «Denken Sie daran: Das Widerstreben ist oft nur ein Zeichen von Grenzen, die wir uns selbst gesetzt haben.»

Gibt es in diesem Heft eigentlich auch noch etwas anderes, als Kulturpessimismus und aufklärerische Floskeln zu Zeitgeist und Sittenverfall in Zeiten der Digitalisierung, fragte ich mich, und entdeckte dann auf Seite 69 ich in der Rubrik «Kunst und Wirtschaft» eine Besprechung der Prix-Mobilière-Ausstellung von Maja Rochat im Direktionsgebäude der Mobiliar. Der Text versprach Licht am Ende des Tunnels und zwar in Form der hauseigenen Cafeteria am Ende des mit den psychedelischen Tapeten zugekleisterten Eingangsbereichs. Ausserdem versprach der Text Bewusstseins- und Horizonterweiterung und ich dachte: Nice, genau das brauche ich jetzt, in bewegten Zeiten dieses Lebens und der Menschheit im Zeitalter der Digitalisierung, einfach mal innehalten und auf zu neuen Horizonten, endlich mal wieder lernen zu [insert random humanistische Werte here].

Aber Zynismus mal beiseite, weil das Ensuite ist ja genau wie KSB ein unabhängiges lokales Kulturmedium und ein gegenseitiges Zerfleischen wäre in diesen schwierigen Zeiten des Zerfalls und der Verrohung der Schweizer Medienlandschaft angesichts eines Zeitalters der Digitalisierung mehr als unangebracht. Der Überlebenskampf ist für alle hart, da müsste man doch zusammenhalten, könnte man meinen, und auch in diesem Ensuite steht es schwarz auf weiss: «Es ist nicht leicht, doch der Teufelskreis der Angst kann überwunden werden, wenn alle am gleichen Strang ziehen, wenn alle wachsam bleiben.»

Dieser Text zur Ausstellung Maya Rochats im Mobiliar-Direktionsgebäude liess mich jedenfalls einfach nicht los, er trug den Titel «Bunt = Lebensfreude» und also ging ich dahin. Das Gemälde empfängt die Besucherin bereits im Vorraum und die Mobiliar markiert auch gleich mal ihr Revier, man könnte ja vergessen, dass man hier bei einer Versicherung ist und stattdessen denken, man sei auf einem Pilz-Trip. Also gleich mal den Firmen-Namen als Wasserzeichen auf die psychedelische Schiebetüre setzen.

Die Empfangshalle ist fast komplett zugekleistert mit Rochats monumentalen Tapeten, organische Muster, die sich zu bewegen beginnen wenn man zu lange drauf starrt. Die Frau am Empfang schaut kurz auf, zwei Typen im Anzug führen classic Business-Smalltalk und verabschieden sich mit den Worten «du kriegst dann noch eine Mail von mir.» Weiter hinten noch mehr psychedelische Tapeten und noch mehr Menschen in Anzügen und Zweiteilern und Business-Smalltalk. Eine will wissen, wie denn so die Sitzung war und alle sind einigermassen heiter, vielleicht wegen der Tapeten, vielleicht auch nur weil Sommer ist und bald Feierabend. Oder vielleicht ist es auch einfach nur sehr cool bei der Mobiliar zu arbeiten.

Ganz hinten, am Ende des Tunnels bleibt die erwartete Erleichterung und Erleuchtung aus: Die Cafeteria hat bereits geschlossen. Also weiter durch die Ausstellung schlendern. Die eine Ecke schaut so aus, als wär man im Stress gewesen beim Aufbau der Ausstellung und in einer anderen stehen ein paar Sitzmöbel, die nicht so ganz in das Gemälde reinpassen wollen. Irgendwo informiert die Mobiliar über ihr Engagement: «Die Innovationskraft der Kunst ist ein wesentlicher Bestandteil jedes Zukunftsprozesses.» Deshalb wurde das Preisgeld des Prix Mobilière dieses Jahr verdoppelt und beträgt neu 30’000 Franken. Hätte ich jetzt auch auch noch eingesteckt, diese Dreissigtausend, wenn ich nicht den leisen Verdacht hätte, dass dieses Rochat-Gemälde hier vor allem dazu dient, die eigenen Angestellten zu besonders innovativen und profitablen Ideen zu provozieren. In etwa so wie diese Spielplätze im Silicon Valley und dann noch eine Micro-Dose Acid um produktiver zu sein und den Leuten weiszumachen, dass Kapitalismus auch Spass machen kann. Aber dann denke ich wiederum, dass ich vielleicht zu polemisch und zu zynisch bin die ganze Zeit und die gute alte Versöhnlichkeit verlernt habe, wegen der Digitalisierung vielleicht. Und ich denke daran, dass das Widerstreben oft nur ein Zeichen von Grenzen ist, die wir uns selbst gesetzt haben.

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Fischer-Fussnote: Apropos zynisch – an der Vernissage durfte auch der Mobiliar-CEO ein bisschen über Kunst philosophieren und über die frappierenden Parallelen zum Versicherungsgeschäft (ja, wirklich!). Es war ein ziemliches Drunter und Drüber, aber eines blieb in Erinnerung: Es seien ja unsichere Zeiten, der Chef zeigte Verständnis für die Ängste da draussen und sah seine Aufgabe wie die der Kunst, für mehr Sicherheit, für ein wenig Geborgenheit und Optimismus zu sorgen. Und man dachte: Blödsinn, die Kunst ist doch genau für das Gegenteil zuständig. Und: grad nochmal Blödsinn, auch das Versicherungsbusiness brummt ja, wenn die Leute so richtig gründlich verunsichert sind.

Maya Rochats psychedelisches Riesengemälde ist noch bis am 20. August an der Bundesgasse 35 zu sehen, die hauseigene Cafeteria hat jeweils nur bis 16:00 geöffnet, Mittagsmenus gibts bis 14:00. Das Ensuite erscheint wie eh und je einmal im Monat in Print (!), von der angekündigten Weiterführung des Bund-Kulturblog mit neuem Team hat man nie wieder was gehört, KSB hat immer noch kein Geld und was ist eigentlich mit dem Journal B?