Den ganzen Weg ins Kloster

Die Suche nach Gott ist eine kontinuierliche Enttäuschung, sagt die queerfeministische Aktivistin Geneva Moser. Im März ist sie ins Kloster eingetreten. Ein Gespräch über antiautoritäres Gottesverständnis, die Gewaltgeschichte der Kirche und religiöse Praxen, die auch der linksautonomen Szene gut tun würden.

KSB: Geneva, willst du anfangen?

Geneva Moser: Die religiöse Prägung meiner Kindheit war das Freikirchenmilieu meiner Familie. Bald schon kam aber der Schritt dort hinaus; meine Eltern hatten Kritik an den Strukturen und auch ich merkte früh, da stimmt was nicht. Vor allem diese strikt abverlangten Geschlechterrollen. Später wollte ich in ein Internat, ich hatte Hanni und Nanni gelesen und war begeistert. Ich hätte gerne Geschwister gehabt und wollte meine Zukunft selber in die Hand nehmen – da war ich elf. Das Internat wurde von Ordensschwestern geleitet. Die Zeit dort war eine ambivalente Erfahrung: Ein Internat ist eine totale Institution, wie auch ein Gefängnis, ein Pflegeheim, eine Schiffsbesatzung oder ein Kloster. Das kann ein Schutzraum sein, in dem Entfaltung möglich ist. Es macht aber auch anfällig für Machtmissbrauch. Trotzdem habe ich sofort gemerkt, das mich das Leben der Ordensfrauen interessiert. Da war auch Aufbruchgeist bei diesen Schwestern, die ein sozialkritisches Christentum lebten, auch interreligiös, die Stille in der Meditation suchend, das Gemeinsame im Stundengebet und der ganzen Liturgie. Das war der Anfang dieser Faszination. Jetzt hat es einfach noch zwanzig Jahre gedauert – Pflegeausbildung, Studium, meine Zeit im Frauenraum-Kollektiv der Reitschule, neue Stelle, Verliebtsein und all die guten Gründe – bis ich mir das ganz eingestanden habe: Man kann links sein, kritisch, feministisch und queer und ins Kloster gehen. Ja, das geht.

Du bist queer-feministische Katholikin. Wie lassen sich dein früheres Umfeld und deine jetzige Gemeinschaft vereinen?

Die Hauptirritation, denke ich, ist verankert in bestimmten Klischees. Viele wissen nicht genau, wie «das Kloster» wirklich aussieht, wie unterschiedlich Klosterleben sein kann. Da versuche ich, Übersetzungsarbeit zu leisten. Für mich ist es der Ort, wo ich die Liturgie finde, also die Glaubenspraxis, und die Art von monastischer und theologischer Tradition, die mir entsprechen. Dann gibt es natürlich Aspekte, die auch mir fremd bleiben am Katholizismus. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir diese Kirche verändern können. Die Klostergemeinschaft hier erlebe ich als sehr vielfältig; ich habe relativ selbstverständlich Platz gefunden. Wir haben Menschen, die am rechteren Rand auch von der katholischen Kirche sind – bis hin zu mir. Und ich arbeite weiterhin für die christlich-sozialistische Zeitschrift «Neue Wege». Dieser Teil, mich aktivistisch einzubringen, bleibt also. Meine Form von Aktivismus bestand schon immer in erster Linie aus Schreiben und Lesen. Direkte Aktion ist weniger für mich.

Du bist schon seit Jahren in verschiedener Form aktivistisch tätig. Ist der Gang ins Kloster für dich auch ein revolutionärer Akt?

Wenn wir Revolution als etwas verstehen, bei dem es um kleinere Umwälzungen im Alltag geht und nicht um die plötzliche, grosse Umstülpung, dann ja. Ich glaube, ins Kloster zu gehen, ist nicht etwas, das man einmal macht, sondern das immer wieder passiert. Sowohl in der Benediktsregel, nach der die Gemeinschaft hier lebt, wie beispielsweise auch im Judentum gibt es Konzepte der alltäglichen Umkehr. Da geht es darum, sich immer wieder und in jedem Moment zur Umkehr zu bewegen. Hin zum Guten, hin zu dem, was für Menschen beziehungsweise für alle Lebewesen befreiender ist, hin zum Göttlichen. Und auch befreiungstheologisch gilt es, sich immer wieder zuzuwenden: mehr Leben, mehr Solidarität, mehr Freude. Das ist letztlich Aktivistin-Sein wie Nonne-Sein. Es ist eine Form von Hingabe, die ich nicht erklären kann.

In einer Kolumne in «Neue Wege» zitierst du die feministische evangelische Theologin und Dichterin Dorothee Sölle und sprichst vom «Loben ohne Lügen». Da geht es um Demut, das hat uns gefallen. Du wendest dich damit gegen die Doppelmoral von kirchlichen Würdeträgern. Könnte man das auch auf eine gewisse ideologische Selbstgerechtigkeit in der Linken übertragen?

Ich finde das tatsächlich einen coolen Begriff, Demut. Vor etwa anderthalb Jahren habe ich die muslimische Aktivistin Kübra Gümüşay interviewt und mit ihr über ihr Buch «Sprache und Sein» gesprochen. Sie braucht diesen Begriff auch immer wieder. Ihr Konzept von Demut gefällt mir sehr, niemals per se davon auszugehen, auf der richtigen Seite zu stehen. Oder sowieso zu wissen. Für mich kommt hinzu, dass der entsprechende lateinische Begriff, «humilitas», ganz nah an Humus liegt. Erde, geerdet sein – Bodenhaftung haben. Ich bin Erde und gehe dahin zurück, bin nur ein Furz in der Menschheitsgeschichte. Ich bin wesentlich verwoben mit dieser Erde und kann mich nicht darüber stellen. Das hat natürlich Konsequenzen im Umgang mit der Umwelt und meinen Mitmenschen. Und es ist überfordernd, weil ich dem schwer nur gerecht werden kann. Der Begriff ist leider sehr religiös überformt, aber eigentlich ist er ganz konkret und praktisch.

Was ist nun aber mit Gott als oberster Instanz? Muss man da auch einfach demütig sein? Oder müsste man antiautoritär und freiheitlich gedacht nicht auf halbem Weg ins Kloster stehen bleiben?

Das hat mehrere Ebenen für mich. Das kircheneigene Verhältnis dazu einerseits; und ja, klar, die römisch-katholische Kirche ist mehrheitlich kein Ort der gesunden Bodenhaftung. Vieles ist hier unglaublich abgehoben und fern jeder Demut. Aber es gibt auch Menschen in der Kirche, die demütig sind. Ich bleibe auch aus Solidarität zu diesem Geist, den ich spüre, diese Erdung zu erlangen und zu verkünden. Die Frage nach Gott und dem eigenen Gottesbild ist natürlich eine andere, dazu braucht es die Kirche tatsächlich nicht unbedingt. Ich brauche sie, um als Gemeinschaft Gott zu erfahren – aber das mag ich nicht verallgemeinern. In meinem Gottesbild ist das Göttliche nichts, was autoritär über allem steht, quasi im Himmel thront. Dorothee Sölle ist so weit gegangen zu sagen: «Gott hat keine anderen Hände als die unseren.» Das ist natürlich ein radikal diesseitiges Verständnis von Gott – und das ist mir sehr nahe. Das kann wiederum überfordernd sein, weil ich die Verantwortung für die Welt nicht an irgendeine ominöse Macht im Jenseits delegieren kann.

Du hast vorhin die Sehnsucht nach monastischer Tradition erwähnt, nach einer mönchischen Lebensweise. Aber die neoliberale Ordnung ist doch davon komplett überfrachtet, mit ihren Meditationskursen, Yoga und dem ganzen Selbstoptimierungszeugs. Wie grenzt du dich im Kloster davon ab?

Wieder eine ambivalente Antwort. Einerseits – ich will mich gar nicht abgrenzen. Der Schritt ins Kloster ist eine spirituelle Suchbewegung wie andere auch, nicht mehr oder weniger heilig. Und selbst wenn Formen der spirituellen Suche neoliberal überfrachtet sind: Was dahintersteckt, ist die Sehnsucht von Menschen nach Spiritualität, nach Alternativen, nach Sinn. Die ist vor und nach dem neoliberalen Kapitalismus vorhanden. Vielleicht wird sie gerade jetzt stärker, weil immer deutlicher wird, dass diese Wirtschaftsform zerstörerisch ist. Andererseits: Ich bin 24 Stunden am Tag hier, möglicherweise für den Rest meines Lebens. Das hat schon eine andere Entscheidungstragweite als ein Wochenendseminar, das ist kein Lifestyle. Es ist auch eine Absage an den neoliberalen Imperativ, ständig überall zu sein und sich alle Optionen offen zu halten. Klosterleben setzt auf eine Karte und das bedeutet auch Verzicht. Klar, vielleicht entlarvt sich meine Entscheidung in einem halben Jahr als naive Illusion, aber dieses Risiko muss man eingehen. Oder dann einmal mehr: Umkehr. So ein Klostereintritt dauert lang, man durchläuft mehrere Aufnahmeschritte. Das ist hilfreich: Es ist eine Zeit des Kennenlernens, des Prüfens, des Abwägens und des Hinhörens.

Auch in der autonomen Szene gibt es diese spirituelle Lust, gerade am Zeremoniell. Da passiert es etwa, dass man kurzerhand den Bauwagen ausräuchert oder am Abend Tarot-Karten legt; immer mit einer gewissen Ironie. Findest du das auch unproblematisch?

Da gibt es ehrlich gesagt schon eine Tendenz, die mich ärgert. Sich anderer religiöser Praxen zu bedienen und dabei nicht zu merken, dass das immer auch einen kolonialen Gestus hat. Wie viele aus meinem Umfeld sind zum Beispiel nach Lateinamerika gegangen – und sorry, wenn euch das auch betrifft – um an Ayahuasca-Zeremonien teilzunehmen, und haben vom religiösen Hintergrund dieser Praxis vermutlich keinen Bruchteil verstanden? Es scheint einfacher, sich einer religiösen Praxis zuzuwenden, die man nicht ganz versteht und die ein Flair der Exotik hat. So hat man das Problem nicht, zu wissen, dass es beispielsweise auch im Buddhismus ein riesiges Sexismusproblem gibt oder dass Esoterik ganz oft mit einem binär-hierarchischen Geschlechterverständnis einhergeht.

Wie gehst du mit der gewaltvollen Geschichte deiner Kirche um?

Ich bin christlich sozialisiert und spüre eine Verpflichtung, mich damit auseinanderzusetzen. Wenn ich aus der Schweiz wegziehe, bleibe ich trotzdem Schweizerin und muss mich weiterhin mit dem rassistischen und kolonialen Ballast dieses Landes auseinandersetzen. Das werde ich nicht los. Die Gewaltgeschichte meiner Kirche werde ich ebenfalls nicht los. Und die ist an vielen Stellen des kirchlichen Lebens spürbar bis heute, beispielsweise auch in der Liturgie, die ich liebe und die mich so tief berührt. Speziell dann, wenn das Zeremoniell nur der Selbstinszenierung eines Priesters dient. Unabhängig von solchen Situationen, ist es natürlich meine eigene Verantwortung, die Sehnsucht, die Suche wachzuhalten: Man muss sehnsüchtig bleiben, auch im Kloster. Die Suche nach Gott ist eine kontinuierliche Enttäuschung: Ich kann das Göttliche nicht festhalten oder dingfest machen. Und ich bin aufgefordert, Selbsttäuschungen loszulassen.

Das Kloster scheint für dich eine Art Safer Space zu sein. Ist diese örtliche Abschottung für das kritische Denken nicht problematisch? Lassen sich Klostermauern freiheitlich legitimieren?

Das muss man gar nicht schönreden: Klöster waren historisch teilweise enorme Machtorte, etwa finanziell. Aber es sind eben immer auch Andersorte – das birgt das Potential, zu zeigen, was Mönchtum heute heisst. Unser Kloster ist beispielsweise ein sehr touristischer Ort, das ist für die Gemeinschaft tatsächlich ein grosses Thema. Einerseits ist der Tourismus wichtig, weil wir damit einen Teil unseres Lebensunterhaltes verdienen und weil wir Ansprechpersonen sind und bleiben. Andererseits kennen Besucher:innen teilweise keine Grenzen und respektieren auch klar definierte Rückzugsräume kaum. Für mich persönlich war das schon als ich noch in der Reitschule wohnte ein Stressfaktor; dass sich da alle befugt fühlten, immer jedes Zimmer betreten zu können.

Es geht also darum, eine Balance zu finden zwischen Öffnung und Abgrenzung?

Die klösterliche Lebensform funktioniert, weil sie das Konzept der Klausur kennt. Das bedeutet eine gewisse Geschlossenheit, aber keine absolute. Ich kann hinter den dicksten Mauern sitzen und gleichzeitig über mein Handy mit der ganzen Welt in Kontakt sein. «Mass halten», steht in der Benediktsregel als grosse Maxime – das klingt so lau nach Mittelmass, dabei ist das genau nicht gemeint. Sondern Unterscheidung, kritisches Abwägen – gerade nicht Abschottung. Es gilt, sich zu fragen, welcher Raum und welche Zeit wie und wann für Rückzug, für Stille wichtig sind. Dieses Abwägen ist eigentlich nicht ans Kloster gebunden. Im Frauenraum haben wir uns auch immer aufgeregt, wenn alle im Backstage sassen. Die, die auf der Bühne und hinter der Bar arbeiten, müssen sich auch einmal zurückziehen können.

Das Kloster ist jetzt dein neuer Frauenraum. Was bedeutet dir die Frauengemeinschaft dort?

Zuerst einmal wünschte ich mir, dass die Kritik an binären Geschlechtermodellen hier schon etwas mehr angekommen wäre. Es gibt zum Beispiel keine FLINTA*-Klöster, das Geschlechterverständnis der Kirche ist binär und heteronormativ. Das ist eine Frage, der sich diese Landschaft von Klöstern irgendwann stellen muss. Das Kloster birgt auch eine jahrhundertelange Traditionslinie von Frauen, die aus der Hetero-Zwangsordnung, eine Ehe eingehen zu müssen, auf ihre Art ausgebrochen sind. Klöster waren für viele Frauen auch Orte der Bildung, der Persönlichkeitsentwicklung, der eigenständigen Berufstätigkeit. Es war immer klar, dass die Aufgaben, die im täglichen Leben anfielen, unter den vorhandenen Frauen aufzuteilen waren: Man braucht keinen Mann, der die landwirtschaftlichen Fahrzeuge bedient, auch wenn das die gesellschaftliche Ordnung so vorschreibt. Gleiches gilt für die liturgischen Aufgaben. Es waren immer Orte, die sich eine gewisse Autonomie bewahrt haben gegenüber einem nur an Männern orientierten System. Im Mittelalter waren Äbtissinnen einem Bischof hierarchisch gleichgestellt. Gleichzeitig gibt es bis heute diesen Bruch: Die katholische Kirche schreibt vor, dass es für das Zelebrieren der Eucharistiefeier einen geweihten Mann braucht.

Zum Schluss nochmals Aktivismus vom Kloster aus gedacht. Wir haben vorhin von Demut gesprochen – wäre nicht etwas weiteres, Erzkatholisches transportierbar? Die Beichte für autonome Linke?

Die Beichte, eines der sieben Sakramente, kann nur von einem Priester gespendet werden, damit habe ich so meine Probleme. Zudem ist es sehr problematisch, wie die katholische Kirche über ihre Konzepte von Schuld und Vergebung Macht ausgeübt hat. Sie hat damit Menschen unterdrückt, sie an einem verletzlichen Punkt erwischt und diesen Punkt instrumentalisiert, bis hin zu geistlichem, spirituellem und sexuellem Missbrauch. Viele sexuelle Missbräuche sind im Rahmen von Beichtgesprächen passiert. Ich wäre also vorsichtig, die Beichte emanzipatorisch zu deuten. Was ich sinnvoll finde, und das ist nichts spezifisch Katholisches, ist der Moment der Gewissenserforschung. Das kirchliche Stundengebet plant das sogenannte Schuldbekenntnis am Abend ein. Das ist eine Art gemeinsamer Tagesrückblick, an dem ich schaue, was mir gelungen ist und was nicht. Wo habe ich Menschen verletzt oder bin mir selbst nicht treu gewesen? Das wird gemeinsam und im Schweigen vor Gott getragen. Das wäre schon übertragbar auf andere Formen von Zusammenleben. Dafür braucht es meiner Meinung nach auch keine Autorität, die mich von etwas befreit. Dafür brauche ich keinen Priester.

Geneva Moser (33) ist seit März Postulantin im Benediktinerinnenkloster St. Hildegard in Rüdesheim (D). Der ganze Weg ins Kloster führt über acht Jahre vom Postulat, Noviziat und Juniorat bis hin zum Gelübde auf Lebenszeit – der Feier «ewige Profess». Dieser Text erschien zuerst in der Juliausgabe des KSB Kulturmagazins.