Der Schiri bisch du

Im Punto bleibt das Leintuch weiss. Die WM-Spiele dürfen auf gewerbepolizeiliche Weisung hin nicht im Aussenbereich des Restaurants gezeigt werden.

Hallo Bern, wer bist du eigentlich, Stadt des Sports und der sympathischen Fussballfans, Stadt der Begegnungszonen und Aufwertungsmeilen mit schönen roten Stühlen à la française, Stadt der Ausnahmen, wenn es nur um etwas Wichtiges geht, etwas, das wirklich dem öffentlichen Interesse entspricht. Es gibt eben Lärm und Lärm. Und so einen Monat lang mit Flachbildschirmen zugepflasterte Stadt und Geschrei und lustigen Schals und das Bier fliesst durch die Gassen und die Pisse in den Stadtbach und am liebsten noch 1 Million grölende holländische Fans mit Sonnenbrand, das findest du gut, dann heissen Brücken plötzlich auf Holländisch und Plätze und Cafés plötzlich Public Viewing, das gefällt dir, da drückst du gerne beide Augen zu, beim Public Viewing, da erteilst du gerne Ausnahmen an jeden, der anfragt, weil du hast es auf deiner Seite: das «offensichtlich grosse Bedürfnis der Bevölkerung.»

So schreibst du das. Und jetzt musst du auch mal absagen, leider, unter grossem Bedauern und mit freundlichen Grüssen. Vielleicht war dir ja auch nicht klar, dass schon wieder Fussball-Weltmeisterschaft ist, vielleicht warst du etwas überrumpelt, hast jetzt grad kein «spezielles Verfahren» parat wie im Männerfussball jedes zweite Jahr, jetzt ist courant normal, jetzt ist ungerade Jahrzahl, jetzt ist auch mal gut. Und eben: Frauenfussball, wo «kein grösseres Bedürfnis besteht, welches eine Abweichung von unserer normalen Bewilligungspraxis rechtfertigt», so schreibst du dann.

Hallo Bern, was fällt dir ein – nicht allzu viel, scheints. Zum Glück musst du nicht Kulturprogramm machen und dir ernsthaft etwas einfallen lassen, zum Glück musst nur ja sagen oder nein, normale oder spezielle Praxis, gerade oder ungerade Jahrzahl. Männer oder Frauen. Und zum Glück haben andere hier noch gute Ideen: Meret Wälti zum Beispiel, sie spielt im Mittelfeld der Young Boys, genau, deiner Young Boys, die hätte gerne die Spiele irgendwo gezeigt mit Kulturprogramm sogar und aber auch gemütlich Bier, weil das wichtig ist und es gute Gründe gibt dafür, gesellschaftliche Gründe, die über den Fussball hinausweisen. Und es hätte dich gar nicht so viel gekostet, ja zu sagen, im Zweifel auch mal ja.

Ja, Bern, aber deine gesetzlichen Vorgaben, die hältst du hoch, die sind dir wichtig, «Rücksichtnahme auf die Anwohnerschaft» und «Nachtruhe» und «Wohnlärmreglement». Nur manchmal eben nicht. Und da fragen wir uns, wie du entscheidest, wem du Raum gibst und wem nicht, welchen Lärm du zu laut findest und welchen in Ordnung. Weil, offenbar haben du und dein Regierungsstatthalteramt und die aufrichtigen Mannen von der Gewerbepolizei doch die Möglichkeit, ein wenig Spielraum zu lassen, oder auch viel, je nach dem. Man kann immer was mischeln, sagst du, wenn nur genug Anfragen kommen.

Und du bedauerst es ja, dieses etwas länger dauernde Event aufgrund deiner gesetzlichen Vorgaben nicht bewilligen zu können, beim besten Willen, da gibts keine «Abweichung von unserer normalen Bewilligungspraxis» für etwas, das dir vielleicht ein bisschen seltsam vorkommt: Frauenfussball, wo kämen wir da hin, da müsstest du ja auch Public Viewings bewilligen für Handball oder Faustball oder Synchronschwimmen, Turmspringen, Frauenschwingen. Und dann wäre ja nie mehr Ruhe.

Aber ist es nicht paradox, mit Lärm zu argumentieren, wo doch gar kein öffentliches Bedürfnis besteht, das sagst du ja, also niemand hingeht, niemand sich interessiert – wer soll da lärmen? Und wenn alle lärmen, dann ist es in Ordnung? Dann kriegen die Frauen auch irgendwann ihr Public Viewing, wenn nur genug Anfragen kommen, wenn genug gesoffen und gegrölt und gepöbelt wird auch in den ungeraden Jahren? Bei den kleinen Dingen bist du streng und vom Mainstream lässt du dich überfahren, gell.

Hallo Bern, im Fussball heisst das Fingerspitzengefühl, Hallo Schiri, Fingerspitzengefühl, das ist da, wo du den Gring einschalten musst, wo die Regeln nicht eindeutig sind. Und das ist doch, was du zugibst, dass die Regeln nicht immer eindeutig sind und nicht für alle gleich. Ein guter Schiri hat Fingerspitzengefühl, heissts im Fussball, und «Frauenfussball» ist auch nur Fussball.

Wo keine Öffentlichkeit entstehen darf, gibt es keine. Du hast ja schon bewiesen, dass du mischeln kannst, Bern, das gefällt uns eigentlich ganz gut, also fair bleiben und so, aber bisschen mischeln, bisschen Überzeitbewilligung, bisschen Ausnahmezustand, nur ein ganz kleines bisschen. Und nicht nur da, wo es Kohle abzuzügeln gibt mit Grossevents, sondern auch da, wo man einer Sache einen emanzipatorischen Mupf geben könnte. Bei den kleinen Dingen, die so klein gar nicht sind, wenn man nur den Gring einschaltet.

Fussball-WM ist trotzdem. Im Progr zum Beispiel, mit freundschaftlicher Unterstützung von Halbzeit, Radio Gelb-Schwarz und Tschutti Heftli. Auch das Café Kairo zeigt die Spiele. Eine Liste mit weiteren Lokalen findet sich hier. Am 7. Juni ist Anstoss.

Die zitierten Textstellen beziehen sich auf ein amtliches Schreiben der Gewerbepolizei, das KSB vorliegt.