Der Traum ist aus

Es ist Regen und kurz vor Weihnachten am Baldachin, der Föhn bläst Gratiszeitungen kaputt, was da noch kaputtzublasen bleibt. Das nervöse Hauptfeld ums Rennen des späten Weihnachtsgeschäfts pendelt zusätzlich aufgemischt vom Haltestellenwechsel des 20er-Busses wie ein vom Fadenmäher aus dem Nest geschreckter Wespenschwarm.

Zur Beruhigung halte ich nach dem normalerweise saufenden Gruppetto um die Eingangsstufen im Windschatten der Heiliggeistkirche Ausschau, das in solchen Momenten immer Bodenhaftung verspricht. Die Lautstärke, mit der sie ihre Welt behaupten, ist Gravitation – fragt mich nicht, warum.

Und sowieso habe ich noch den wöchentlich für die Gasse budgetierten Fünfliber im Sack, den es loszuwerden gilt, bevor er am Tresen für eine Stange hops geht. Schon auf Halbdistanz werde ich jedoch von einem Hund abgefangen, der mit wehender Fahne an mir heraufspringt, um dabei lose Sabberfäden auf meiner hellbraunen Wildlederjacke zu verschmieren.

Ich suche also dieses sorglose Tier abzuwehren, mit dem reflexartigen Schritt rückwärts und da ist auch schon die Halterin. Rüber gehumpelt vom roten Betonklotz her, der Lieblingstoilette der Blechraucher. Sie stützt sich auf einer Krücke mit pink gummiertem Griff und in der anderen Hand hält sie eine schaumige Dose Anker, die sie mit weit von der Brust abgewinkeltem Ellenbogen, als wäre das Gelenk gelähmt, mit einer Bewegung die den ganzen Arm beansprucht, zu trinken probiert.

«Sie ist eben grad etwas aufgezogen, weil der Hänsu vorhin so gebrüllt hat wie ein Bär und darum tut sie jetzt so übermütig, aber sie macht nüt. Und weisst du, es tut mir gut, hat sie so Pfupf im Arsch, sonst wäre ich nur am Rumliegen. So ein junger Hund hält einem ab vom Träumen – ich hasse Träume, Träume sind Scheissdreck.»

Ich frage sie, ob sie denn keine habe, Träume.

«Doch! Mit Tamy Glauser eine Nacht verbringen, ich würde sie unendlich lange streicheln», antwortet sie, beisst die Augen zusammen und verpasst ihrer Hülse den letzten Zug. «Und jetzt, was habe ich davon? Einen verdammten Scheissdreck, niemand braucht Träume, Träume sind schlimmer als die Polizei, sie legen dich still und das ohne Handschellen – ich halte mich da lieber an dieses Lied vom Rio Reiser, weisst du welches?»

«Ja, das kenne ich, es heisst: Der Traum ist aus

«Genau, und jetzt fahr mir ab mit deiner Lederjacke.»