Anfänger*innenfehler, der

Auf Berndeutsch ist «lehren» und «lernen» das selbe Wort. Deutschunterricht in der Autonomen Schule mit Sarah Wyss.

Wie erklärst du einer Person, deren Muttersprache eine andere als Deutsch ist, wann genau «demnächst» ist, wann «früher», «seither», «sofort» und «heutzutage»? Nach der Doppellektion zu Adverbien, die im Semesterlehrplan für heute vorgesehen war, tröste ich die Teilnehmenden des Deutschkurses und mich, das sei ein sehr schwieriges Thema gewesen, ja. Insgeheim hoffe ich jedes Semester, dass der Dreiwochenzyklus, in dem ich im Wechsel mit Freund*innen im denk:mal unterrichte, mich verschont mit dem schlimmsten Thema. Und von den frustrierten Gesichtern am Ende der Adverbientortur.

In der Pause dann schnell raus, auf den Balkon, rauchen. Hier lösen sich unsere Rollen Lernende und «Lehrerin», die eigentlich gerne Moderatorin genannt werden möchte, auf. Und so reden wir über das Übliche, wie wir wohnen, was wir machen, unsere Träume. O. sagt, er freue sich aufs Heimkommen, seine WG habe für ihn gekocht. Kochst du auch, fragt er Z. Nein, das mache seine Frau. Ob er ihr denn helfe, den Abwasch mache zum Beispiel. Nein, erwidert Z., er gehe ja schliesslich arbeiten. Was, du hast eine Arbeit? Neinnein, aber vorher, zuhause, meint Z. augenrollend, er weiss schon, dass er jetzt überführt wird. O. grinst schelmisch, ja und jetzt, da kannst du ihr ja helfen, oder?

Die heiklen Themen, ja es gibt sie natürlich. En masse. Ich hüpfe von einem Fettnäpfchen ins nächste, dass es nur so spritzt. So erkläre ich Verwandtschaftsbeziehungen anhand eines Stammbaums mit in der Schweiz geläufigen Namen: Anna ist Stefans Grossmutter. Stefan ist Annas Enkel. Das Problem dabei realisiere ich erst, als O. nach einer halben Stunde Unverständnis fragt, ob Anna eine Frau oder ein Mann sei.

Das Dänki, wie das etwas heruntergekommene Haus, das die autonome Schule beherbergt, zärtlich genannt wird, schafft einen Begegnungsort. Es schärft mein Bewusstsein, ermöglicht uns «Denkenden» einen Austausch, der uns das existiernde System meistens vorenthält. An mir brechen sich die Wogen, wenn ich als einzige weisse Person im Raum, und zwar vorne an der Tafel, stehe und allen Anwesenden ihre Position im Seich Teich verdeutlicht wird. Die Schweiz kann so verdammt weiss nicht sein wie etwa das Generationenhaus mit den Porträts in der aktuellen Ausstellung «Forever Young» suggeriert. Ein Politikum versucht mich zu überschwemmen, und nicht selten ringe ich nach Luft.

Die restlichen 21 Wochen des Semesters ist das Deutschunterrichten aber meist eine angenehmere Angelegenheit. Wir lachen über Missverständnisse, versuchen gemeinsam Erklärungen für komplizierte Wörter zu finden (von denen es im Deutschen bekanntlich einige gibt) – und dann wächst mir meine Stufe 2 ans Herz. Ende Semester schaue ich die Kursteilnehmenden an und werde etwas rührselig. Ihr Einstufungstest hat es besiegelt, nächstes Semester wechseln einige zu Stufe 3. So geht das.

Das denk:mal braucht Moderator*innen. Steig ein ins unkommerzielle Geschäft und informier dich an einer denk:mal Sitzung (Donnerstag Abend) oder melde dich bei denk-mal@denk-mal.info