Moritz Achermann über Strategien gegen vermeintliche Naturgesetze.
Possen in den Chefetagen der Theaterbetriebe haben eine lange Tradition, deren Kritik ebenso. Bereits im 18. Jahrhundert gelangen verschiedene Opern und Singspiele zur Aufführung, die sich in satirischer Manier mit dem eigenen Genre und dessen Produktionsbedingungen auseinandersetzen. In diesen frivolen und zuweilen zotigen Metaopern werden etwa Rivalitäten zwischen Sänger*innen oder Streitigkeiten zwischen Komponisten und Textdichtern geschildert. Am schlechtesten kommen dabei aber meist die Direktoren der Opernkompanien (die sogenannten Impresari) weg, die an vorderster Front in die internen Machtkämpfe verwickelt sind und sich auf dem Höhepunkt der Intrige gerne mit dem erwirtschafteten Geld aus dem Staub machen.
Mit der Etablierung der Stadt- und Staatstheater im Zuge der bürgerlichen Revolution verschwand der Berufsstand des Impresario als freier Opernunternehmer allmählich und machte einer neuen Kaste Machthabender im Theater Platz: den Intendanten (das generische Maskulinum ist hier leider kein Zufall).
Obwohl die Intendanten deutschsprachiger Theater- und Opernhäuser heute fast als Staatsangestellte durchgehen könnten, pflegen sie nur allzu oft einen Stil, der jenem der zwielichtigen Impresari des 18. Jahrhunderts gleicht. Alexander Pereira strich im hochsubventionierten Opernhaus Zürich Provisionen auf Stiftungsbeiträge ein und machte in Mailand shady Deals mit saudi-arabischen Konsortien klar, Gustav Kuhn wurde nach Jahren des sexuellen Missbrauchs und der Entwürdigung von Mitarbeiter*innen als Leiter der Tiroler Festspiele entlassen, Matthias Hartmann bastelte in aller Selbstherrlichkeit einen beachtlichen Finanzskandal am Wiener Burgtheater. Und in Bern endete die Regentschaft Stephan Märkis im nepotistischen Debakel.
Nach dessen Absetzung begann das übliche Prozedere: Eine Findungskommission beriet unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Neubesetzung des Postens und erwählte wenig überraschend einen deutschen Mann. Derweil wurde Märki im Intendanten-Karussell nach Cottbus weitergereicht, gemäss dem Naturgesetz: einmal Intendant – immer Intendant.
Angesichts dieser Strukturen verwundert es kaum, dass die grossen Häuser punkto Diversität und Gleichstellung bis heute ein desaströses Bild abgeben. Eine Studie im Auftrag des deutschen Kulturrats aus dem Jahr 2016 zeigte auf, dass an deutschen Häusern Intendanzen zu 76 Prozent von Männern besetzt sind, Regie-Aufträge zu 60 Prozent und Textvorlagen zu 76 Prozent an Männer gehen. Die Konsequenzen für den hiesigen Theaterbetrieb lassen sich erahnen: starre Hierarchien, Machtmissbräuche, sexistische Betriebskulturen. Und ein Theater, das die Diversität unserer Gesellschaft nicht einmal im Ansatz zu repräsentieren vermag.
Bei den grossen Häusern hapert es also immer noch ziemlich. Und da das mit der Selbstverantwortung in der freien Marktwirtschaft ja nie so wirklich funktioniert – besonders wenn viel Macht und Kapital zusammenkommen – muss man zuweilen halt politisch nachhelfen. In diesem Sinne hat die GB-Stadträtin Sophie Achermann im Berner Stadtrat eine Motion eingereicht, die folgende Forderungen an die Leistungsvereinbarungen für hiesige Theaterbetriebe (etwa das Konzerttheater Bern) stellt.
Zum einen verlangt die Motion nach einem Geschlechterrichtwert von 50 Prozent für Frauen in den Geschäftsleitungen sowie bei der Vergabe von Regie- und Textaufträgen. Zum anderen sollen die Prozesse bei der Neubesetzung von Leitungspositionen transparenter gestaltet werden. Die Findungskommissionen sollen paritätisch besetzt sein und die Zusammensetzung ebendieser sowie die Kriterien bei der Suche öffentlich gemacht werden. Zuletzt wird gefordert, was in unserer Gegenwart und gerade bei hochsubventionierten Betrieben längst gang und gäbe sein sollte und sich als Mittel gegen systemische Diskriminierung immer wieder bewährt: Lohntransparenz gegenüber den Mitarbeiter*innen.
Solche Massnahmen könnten der immerwährenden Intendanten-Farce entgegenwirken und alternative Erzählungen ermöglichen. Freilich bedürfte es einer grundlegenden Neustrukturierung in der Leitung der Häuser hin zu kollektiveren Organisationsformen und mehr Bemühungen für eine allumfassende Diversity.
Dass die Dinge inzwischen aber doch allmählich in Bewegung kommen zeigt sich etwa am Theater Neumarkt in Zürich, das seit 2019 von Hayat Erdoğan, Tine Milz und Julia Reichert im Kollektiv geleitet wird. Am Schauspiel Dortmund übernimmt ab der Saison 2021 Julia Wissert als jüngste Intendantin Deutschlands und erste Woman of Color in dieser Funktion die Leitung. Eindrücklich zeigt auch Shermin Langhoff am Gorki Theater Berlin bereits seit einigen Jahren auf, wie Diversität im Theater gelebt werden kann. Jetzt müssen die anderen einfach noch nachziehen. Bern, what about you?
Apropos Nepotismus: Die GB-Stadträtin Sophie Achermann ist die Schwester des Autors.