Die stille Ekstase des Blitzlichtwerfers Milian Mori

Die Polizei fährt über der Brücke hin und her, aber ihr Wunsch nach Heldentum bleibt unerhört. Kirchenfeldbrücke, es ist grad Dezember geworden. Man wird heimelig, trotz allem, hält zur Brückenmitte still und hört den Fluss straucheln an der Schwelle, sieht den Münsterspitz glühen, faucht etwas Geifer zusammen und spuckt in den Fluss. Man denkt sich wirklich nichts, ausser, und ob das ein erlösender oder äusserst unangenehmer Gedanke ist: Hier bin ich daheim. Dann legt man sich schlafen.

«Ich mochte einfach nicht mehr warten», sagt Milian Mori, dessen Kalender zuerst leere Versprechungen macht und dann gar keine mehr. Nicht viel zu reissen dieses Jahr, weshalb man sich auf langen Spaziergängen die Zeit vertut. Ein guter Spazierweg beispielsweise führt vom Casinoplatz in die Tiefe, vorbei am Schweisseisengerippe der Kirchenfeldbrücke. Ein wohlig obskurer Ort, wie ihn die Altstadt ihrer Topographie wegen da und dort hergibt an ihren abschüssigen Ausläufen. Milian steht vor dem Pfeiler und denkt sich: «Das ist die perfekte Wand.»

Also treibt er einen Bildwerfer auf und überlegt sich ein paar Dinge. Zum Beispiel: Wie man drei Minuten und dreiunddreissig Sekunden teilen kann. Wie man ohne Ton Rhythmus herstellt. Und wo man Strom herbekommt da unten.

hrend drei Nächten scheint diese Sequenz von 3:33 Minuten am Pfeiler der Kirchenfeldbrücke auf. «DON’T’BLINK» heisst der Schaffenszyklus, der Suche nach radikaler Reduktion gewidmet. Darin beschiesst der Soundkünstler eine Art symmetrisch-funktionale, engmaschig berechnete Musik mit der binären Gewalt des Stroboskops. Am Gerüst der Kirchenfeldbrücke verdichtet sich Milians Idee der Reduktion: Das vorgeführte «DON’T’BLINK 7» verzichtet ganz auf eine synthetische Tonspur. Keine Soundanlage steht da an der Serpentine, sonst hätte die Polizei gerne interveniert und die Arbeit eingepackt. So bleibt das Werk auf eine stille Art laut und es mischen sich neue Zutaten in die Kunst, die Tonspur der Nacht: das letzte Tram nach Wittigkofen, das Brausen an der Schwelle. Je nach Perspektive: das Gerippe der Bäume und das Gerüst der Brücke, deren zeitlose Schönheit darin besteht, dass sie nichts weiter als Gerüst ist. Drei kalte Dezembernächte lang zittert diese Projektion in Endlosschlaufe, je 12 Stunden, von 6 Uhr Eindunkeln bis 6 Uhr Morgengrau. Dann geht Milian Mori die Serpentine runter, dreht seinen Projektor aus und ist müde und zufrieden.

«Mich fasziniert das Notwendige in der Kunst, eine intrinsische Dringlichkeit, vielleicht sogar Renitenz», sagt Milian. Auch politische Aktionen wie der Carnaval des Rues könnten diese Energie in sich tragen – der Strassenumzug vom 12. September, der bei der Tesla-Garage am Stadtrand von der Polizei feucht beendet wurde. Er ist nicht mit allem einverstanden, was sich da im aktionistischen Plural veräusserte. «Aber im Kern geht es um den Punk.»

Die plötzliche, uneingeladene Kunst hat es auch sonst nicht leicht. Braucht es die Galerie und die Kunstschule, braucht es ein höheres Gremium, um die Stadt zu interpretieren? Absurd, wie sehr die Idee von Kunst im Öffentlichen Raum zu einer Ware wurde, die sich eine Stadt per Budget leistet, per Ausschreibung gönnerhaft plattevaluiert und dort einsetzt, wo sich sicher niemand stört, immer von Gnaden. Aber das wussten schon die Spraydosen – es braucht vielleicht auch neue Ansätze und Zugänge für die ungebetene Kunst.

«Ich gehe jetzt anders durch die Stadt», als hätte ein situationistischer Blitz eingeschlagen. Die Aktion an der Brücke hat ihn elektrisiert und mit ihm die Stadt, die das nicht einmal bemerken muss. «Die Aura des Versteckten» nennt er, was sich da gleichzeitig beiläufig und bildgewaltig abgespielt hat. Jetzt sitzt Milian Mori wieder in seinem Atelier in der Nähe der Autobahn 5, wo die Wege seltsame Namen tragen: «Familienspaziergang», «Feld-Rhythmen». Vis-à-vis schimmern die Busen des Zentrum Paul Klee in den Tag hinein und reflektieren das Wetter.

Milian Moris weitere Arbeiten im Portfolio.