Die Unerzählten

Was wissen wir vom Kosovo? Von den Gassen von Prizreni und Prishtina, von den verwunschenen Bergen Prokletije, vom Dorf in den Hügeln? Was wissen wir vom Humor, von der Sprache und vom Schmerz? Was wissen wir von Wegbleiben und Vermissen, was wissen wir von der Diaspora? Und was wissen wir vom Krieg?

«Hajde!», komm – das klingt vertraut. Wir haben Anfang der Nullerjahre zusammen Fussball gespielt. Rossfeld gegen Aaregg, oben gegen unten: Schweiz gegen «Jugos». Wir haben immer verloren und nie gefragt. Wir kannten ein paar Fluchwörter und verwechselten Serbokroatisch mit Albanisch und Albanisch mit Makedonisch. Irgendwann hiess es «Jugo darfst du nicht mehr sagen», aber die ungestellten Fragen blieben unbeantwortet. Selber Schuld. Was wissen wir schon und was wissen wir schon heute mehr?

Komm: Das Kollektiv Kulturalink schickt Kultur zwischen Bern und Prishtina hin und her. An den vier September-Wochenenden bot sie Einblick ins kosovarische Filmschaffen. In Zusammenarbeit mit dem Kosovo Cinematography Center leuchteten insgesamt elf Filme, Kurz- und Lang-, über das alte Stallgemäuer des Reitschulkinos. Also mindestens elf Geschichten.

Und mindestens zehn verpasste Chancen, zum letzten Abend schaffen wir es doch noch hin. Auf dem Programm steht «Zana»: Ein vom Krieg gestohlenes, im Trauma verschwiegenes Kind. Ein Paar, das den Rank finden, einen Neuanfang suchen muss, eine Mutter, die keine Kinder mehr kriegen kann. Eine Schwiegermutter, eine Heilerin, ein Scharlatan, böse Träume umranken das kleine Dorf irgendwo in der Nähe von Peja – in einer brutal schönen Landschaft, die von der Regisseurin Antoneta Kastrati nicht romantisiert werden muss. Überhaupt ist die Symbolik des Films so geradlinig, dass manch einem Alumnus der Zürcher Filmhochschule ein Bündel Konzepte im Kopf explodiert wären.

Sie seien selbst vom Dorf, sagen sie uns danach, die Regisseurin und ihre Schwester Sevdije, Co-Produzentin. In Los Angeles, wo die beiden leben und arbeiten, ist Mittag. Ein auf dem Kinogestühl aufgeschlagener Laptop ist unsere Verbindung, die Seuche will es so. Wir machen Frage und Antwort.

«Why have you chosen the aesthetic of surreal horror for this movie?», Frage aus dem Publikum. «It’s not intended to be horror. It’s real life. Trauma is real life and the imagery telling that story came to us very naturally. We ourselves lost our sister during the war and I had nightmares like this for twenty years», sagt Antoneta.

Das ist eine mögliche kosovarisch-albanische Geschichte. Oder: Toni und Bleri zimmern sich eine Rakete aus Schrott, um in den Schengenraum zu fliegen. Oder: Wie sehen sieben Albaner*innen ihre Schweiz? Oder: «Woran glaubst du?», in Prishtina, Belgrad und Zürich?

Rund 150’000 bis 170’000 Menschen aus dem Kosovo leben in der Schweiz. Es ist schon deshalb eine gute Idee, diesen Geschichten zuzuhören.

Kulturalink realisiert inter- und transkulturelle Projekte. Informiert bleibt man mit dem Newsletter.