Plötzlich ist er da, so wie das Zauberer eben machen: erscheinen. «Darf ich mich hinsetzen?» fragt Zamboni in elegantem Englisch und – er müsse das kurz testen, sonst funktionierten seine Zaubereien nicht – ob ich etwa farbenblind sei. Nein, das nicht, möchte ich sagen und er zeigt schon auf seine Spielkarten, das rote Herz, die schwarze Schaufel. Ich bekräftige, das Herz sei rot und auch der Ecken sei rot und die Schaufel sei schwarz wie das Kreuz. Und da er mich nach der Farbe der Kartenrückseite fragt, die blutrot ist, bei allen Karten blutrot ist, bestätige ich, dass das alles blutrot sei. Er schaut mich streng an, zögert ganz kurz, klopft auf den Stapel und fächert alle Karten aus: Ihre Rückseiten sind jetzt dunkelblau. «Hurensohn», denke ich anerkennend.
Ein guter Zaubertrick ist schwer zu beschreiben. Es scheint alles gleichzeitig zu passieren, die lineare Sprache muss sich daran ihre Zähne ausbeissen, man kommt nicht draus und auch nicht dahinter und wer begreifen will, ist längst verloren. Zaubern ist ablenken: Die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um sie zu zerstreuen. Ein guter Zauberer ist auch ein Geschichtenerzähler. Vielleicht ist er die sublimste Form des manipulativen Arschlochs in uns.
The Great Zamboni erscheint alle paar Jahre in der Rathausgasse und verdreht den verdutzten Eidgenossen beim Feierabendbier den Kopf, sagt mir D., der da kellnert und selber allen den Kopf verdreht, ganz ohne Zaubertrick. Der Grosse Zamboni beherrscht seine Illusionen und tänzelt leicht von der einen in die nächste, lässt Karten verschwinden, scheinbar telekinetisch durch den Stapel wandern, zieht sich Karten aus dem Ohr. Seine Dramaturgie ist rasant. Als er verschwindet, hat er nicht einmal nach einem Batzen gefragt.
Wer zaubern kann, muss nicht betteln. Wer Kohle hat, muss auch nicht betteln, denn er kann investieren.
«Ein neues Kapitel beginnt.» Und ein Unbekannter hat den Tippfehler korrigiert.
Nur wenige Schritte runter hat die Gasse eine Zahnlücke. Da, wo fast für hundert Jahre das Kino Capitol lichtspielte: Eine verpackte Baustelle. Auf dem Geschenkpapier versuchen die Investoren zu vermitteln, die auf niedlich illustrierte Madame de Meuron erklärt in gnädigem Patrizierberndeutsch, wie hier neue «Behausungen» für Berns Bevölkerung entstünden. Das Haus erhalte seine vormalige Grazie zurück, seine «ancienne façade». Mit französischen Einsprengseln sagt sie das und den Berner*innen wird ganz warm ums Herz, sie erzählen sich, an der sympathischen Baustelle vorbeiballadierend, dass Frau De Meuron immer gratis Tram gefahren sei, «wil i bi scho vo ʁem Tʁam da gsy» und wie sie «syt diʁ öppʁ oder nähmet diʁ Lohn?» zu dünkeln pflegte und all das Zeug, das unser «Original» so vor sich hin paʁlieʁt habe – da fühlt sich der Mittelstand wohl und aufgehoben. Auch ein gelungenes Kunststück, die alte Granteltante mit dem Hörrohr als Sympathieträgerin und Botschafterin zu reanimieren.
Dahinter verbergen sich selbstverständlich eine Reihe noch viel mieserer Tricks, auf deren Erzählung die de Meuron eigentlich ganz gut passt. Etwa: Die Wiederherstellung des Ursprünglichen. Die HIG-Immobilien, eine Geldvermehrungsmaschine aus Zürich, lässt das ihre Kommunikationsagentur so verlauten:
Mit dem Bau wird eine der grössten Bausünden der Altstadt eliminiert und die ursprüngliche Stadtmorphologie wiederhergestellt. Dabei entsteht ein Neubau, der sowohl der historischen als auch der zeitgemässen Architektur Rechnung trägt.
Der Sündenfall ist das einst im Art Déco-Stil errichtete Kino Capitol, «das ursprünglich durchaus Qualitäten aufgewiesen hat», wie der Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross zitiert wird. Das zeugt von zwei Dingen: einem reaktionär-musealen Denkmalschutz, der einen Nullpunkt der Geschichte zu kennen weiss. Und von der Deutungshoheit der Herrschaft, diesen Nullpunkt als «das Ursprüngliche» zu definieren. Im Fall des Neubaus zwischen Rathaus- und Kramgasse referiert man auf ein barockes Palästchen, erbaut für die Familie von Tscharner. Nun ist Bern nicht eine sehr barocke Stadt, von einigen Ausnahmen abgesehen, hat der Stil im alten Bern kaum stattgefunden. Eigentlich läuft er der demütigen Mittelaltersiedlung, wo «nichts leere Decoration» (Goethe), in ähnlicher Weise zuwider wie der Art Déco-Stil. Das Motiv des Ursprünglichen ist hier nichts als das «Ursprüngliche» des ancien régime, der vererbten Herrschaft in der städtischen Aristokratie.
Das wird baugeschichtlich recht mutlos, aber schlüssig hergeleitet. Ein architekturkritischer Streit darüber lenkte vom eigentlichen Problem ab: Wer von oben herab auf die Stadt schaut und den Neubau besieht, der kann dann staunen, wie dieser typische Innenhof, «zu seiner ursprünglichen Form zurückgeführt», sich einfügt in die urtypische Bebauung der Unteren Altstadt.
Ladenfläche und 25 Wohnungen sollen entstehen, barock ornamentiert und den heutigen Bedürfnissen städtischen Luxuswohnens angemessen. Die Comic-de Meuron nennt sie im Diminuitiv Behausungen für Berner*innen. Und wer, von der nostalgischen Verheissung einer alten Zeit erfasst, sich darüber sogar ein bisschen freut, ist mit statistischer Wahrscheinlichkeit nicht gemeint: Die «Bärnerinne und Bärner» – vermögende Expats, höhere Staatsangestellte vielleicht – oder mit Sprühfarbe: Bonzen. Grossmutter verspricht: «Hie spiut nach em Umbou en andeʁi Musig.»
Von der Strasse aus wird man sich am leuchtenden Innenhof kaum erfreuen. Die soziale Implikation des Projekts: Die Vertreibung des Frivolen – eine Geschichte der Verdrängung, die dem Narrativ des Ursprünglichen entgegensteht. In der Rathausgasse, die einst Metzgergasse hiess, versammelten sich noch in den Siebzigerjahren die Sexarbeiterinnen unter den Lauben, ein Umstand, über den sich die Obrigkeit schon im 19. Jahrhundert den Kopf zerbrach – den Zustupf aus Bussen aber für lange Zeit einer kompletten Verdrängung des Milieus vorzog. Die Umbenennung der Gasse 1971 ist symbolischer Markstein einer Entwicklung, die bis heute andauert. Das neue Haus wird sich nicht nur darin einreihen, es wird sie wohl beschleunigen und der Gastronomie von Alkoholismus, Prekariat und Tagedieb*innen, in der Rathausgasse heute noch vertreten, sei alle Beharrlichkeit gewünscht, wenn jetzt «ein neues Kapitel beginnt».
Madame de Meuron-von Tscharner hätte sich über ihre Karikatur als Aufwertungs-Maskottchen im Übrigen aus anderen Gründen schrecklich aufgeregt, «weil man mich aus Zufall zu einer Persönlichkeit gemacht hat, an welcher die Leute sich belustigen können als Gaudium.»