Ok, hey, klingt super: Infektionsketten unterbrechen. Das Virus unter Kontrolle bringen. Rasch reagieren wenn jemand krank wird. Testen, tracen, isolieren. Ich stelle es mir gern vor wie ein Vintage-Computerspiel: Verpixelte graue Gestalten kriechen über den Bildschirm, treffen sich, tauchen in Keller ab. Plötzlich wird einer rot! Und wandert munter weiter. Da, Kontakt! Zwei Rote! Schnell, markieren und wegsperren. Schon taucht rechts oben wieder ein Roter auf.
Allerdings, wenn man manche Epidemiologen fragt:
SPIEGEL: Wenn ich Sie richtig verstehe, sollte das Ziel also gar nicht sein, die Gesamtfallzahlen einzudämmen?
Krause: Eindämmen im Sinne von «die Verbreitung unterbrechen» kann nicht mehr das Ziel sein. Das Virus ist doch schon überall.
So sieht’s aus. Man muss sich halt auch trauen, es zu sagen. Wenn es aber tatsächlich schon überall ist, hat das weitreichende Folgen, hinsichtlich der Massnahmen. Der Computerscreen wäre plötzlich voller roter Punkte. Alle verfolgen? Nervous breakdown. Man hört es ja schon länger, es knorzt beim Contact Tracing (und zwar nicht erst seit die Zahlen wieder steil steigen). Also kann man davon ausgehen, dass die Behörden mit einem detaillierten Nachvollziehen aller Corona-Kontakte spätestens jetzt heillos überfordert sind. Statt das zuzugeben und offen zu diskutieren, wie man mit so einer Situation umgehen muss, nimmt man einzelne Player um so strenger in die Pflicht: möglichst genaue, automatisch generierte Daten liefern! Check-in, check-out. So lässt sich das Nachtleben vielleicht noch knapp überschauen, ohne gleich eine ganze Generation in hygienische Sippenhaft zu schicken. Wer diese Art der Datenerfassung nicht mitmachen kann, wird zum Sündenbock gestempelt. Obwohl alle wissen, dass es eine Vielzahl anderer Übertragungswege gibt, die man eigentlich genauso rigoros im Blick haben müsste. Der ÖV ist so voll wie vor Corona, die Restaurants auch. Und wer verzichtet schon auf private Anlässe oder gar den teuflischen Apéro-Kult? Es ist ein wenig, als wäre der Computerscreen blind und nur spezifische Orte sichtbar: Was sonst im Dunkeln ist, wird grell ausgeleuchtet. Tiefenpsychologie, gesamtgesellschaftliche.
Ah, übrigens, wie war das eigentlich mit der SwissCovid-App? Schon lange nichts mehr gehört. Bloomberg schrieb schon im Mai: «To safely reopen, the U.S. might need to train and deploy at least 100,000 contact tracers. But some hope that this laborious process could be at least partially automated.»
Tja, eben: Appify your (night)life. Seltsame Lösung. Noch einmal Gérard Krause:
Die Pandemie im wörtlichen Sinne zu stoppen, ist nach meiner Einschätzung schlicht nicht möglich. Hoffnungen in diese Richtung zu wecken, droht Enttäuschung zu erzeugen und riskiert die Akzeptanz der Maßnahmen. Man kann jedoch durch ein geschicktes Ausbalancieren der Maßnahmen die Schäden der Pandemie abschwächen. Das sollte das Ziel sein. Denn alles, was wir tun, hat einen erwünschten und einen unerwünschten Effekt.
Wobei man ein wenig ketzerisch fragen kann, wie unerwünscht der Nebeneffekt denn ist, dass gewisse Clubs geschlossen werden. Jugendkultur ist und bleibt nun mal ein Störfaktor im urbanen Betrieb. In Corona-Zeiten heisst das je länger je mehr: comply or die. Und vernünftig, Herr Engelberger, wollten Sie hoffentlich auch nicht immer sein.