Eigentlich wollten wir auf Züri, zu fünft im Opel ins Mascotte, weil der Kevin Morby dort zu spielen hatte – kurzfristige Absage aber, die Ärzte hielten ihn zurück: zu ausgezehrt, zu kaputt – zu sehr Künstler. Kevin, hör auf deinen Körper – wir setzen uns ans Lagerfeuer. In dieser Nacht wird es unter null gehen. Es ist kalt schon um sieben und stockdunkel.
Den Morby, besinnlicher Cowboy der er ist, plant man im Club auf den Herbst. Weil sein Americana diesen monochromen Hohlraum ausleuchtet, in die die nasse Jahreszeit unsere zerklüfteten und sommersüchtigen Selbstbilder zerrt. Organische Musik: zitronige Harmonien, Melodien, die nach Vanille riechen, Wohlklang und trotzdem angekratzt – über die Verstärker, durch diesen wie zerbrochene Zimtstangen splitterigen Gitarrenklang.
Kevin, du bist so echt, dein flanellhemdenes Narrativ vom Spürbaren, Wirklichkeitsdurchwirkten macht uns ganz handzahm – zum Lachen! Und obwohl diese Authentizitätsfolie, dieses Superachtbild in Sepiaton, seit Jahren schon bis tiefst in den Hauptstrom hinein – Holzfällerästhetik im Globusschaufenster – hundertfach verquantet wurde. Trotzdem werden wir noch immer wuschig bei deinem Schweissgeruch. Warum nur fühlen wir uns dem so verbunden?
Es ist ein Kreuz mit dem Echten. Mirjam hat übrigens Glühwein gemacht, mit Weissem, Orangenschnitzen, Blütenknospen von Nelken und Havanna Club – damit das Ganze nicht nach Weihnachtsmarkt schmeckt, sondern nach Weltoffenheit. Er ist fein und im Hintergrund weint sich Molly Nielson durch den Lautsprecher. Wir diskutieren: Verklären wir das Authentische – ein Wort, es musste kommen – zum einzigen Gradmesser schöner Kunst und guter Lebensführung, im Sinne wahr und ehrlich, nehmen wir eine brutale Beschneidung vor. Wo bliebe der Scam, der Bluff – oh heiliger Schachzug – Phantastisches? Ein Problem auch, wo damit Althergebrachtes zementiert wird: das Bild des selbstverschwenderischen, kreativen Loners beispielsweise – Morby, bei aller Liebe, du musst mitgemeint sein – ist noch immer vornehmlich männlich konnotiert und schillert doch oft als Gleichnis fürs Echte. Schwierig. Überlassen wir das Attribut jedoch gänzlich dem Markt – in der Reklame zur blossen Worthülse mehr ausgesaugt und längst davon pervertiert – verlieren wir eine starke Waffe des Gespürs.
Im aufgefrästen Ölfass vor uns brennen Dachlatten, Fichtenscheiter und eine ausgediente Wendeltreppenstufe aus Buche. Das Holz dunstet bei 100 Grad sein Wasser aus, bei 150 ändern sich die Aggregatszustände und der Feststoff wandelt sich zu Gas, Zündtemperatur bei ungefähr 225, unten in der Wanne leuchtet was nicht flüchtig ist, Kohlenglut. Übrig bleiben anorganische Anteile, Mineralien – Asche.
Martin wirft mit einer Pfanne pulveriges Sägemehl über die Feuerstelle – die Luft um uns herum explodiert und es regnet Funken, glühende Motten, die sich durch unsere ausgewaschenen Jeans brennen und in die Steppjacken aus der Brockenstube. Wir bleiben gehüllt in dieses warme Licht und einer weissen Staubschicht, die sich wie ein Seidentuch über unsere schwarzen und roten Wollkappen legt. Der sizilianische Nero d’Avola in unseren Gläsern vermischt sich mit Schwebstoffen – der Glühwein ist alle.
Zugang haben zum Echten heisst, nicht gänzlich von Synthetischem und Systemischen diktiert leben zu müssen, das kommt einem Glück gleich. Durchwirkt sein von Einfachem, mit Bezug zu erklärbaren Abläufen – im Kontrast zur sonst vorherrschenden Totalirritation der Aktualität. Das ist nichts Geringeres als sinnliche Kraft: ein reduzierter Schwung, die saubere Linie guten Designs vielleicht. Nochmal: Bezug erzeugen, nicht zu reaktionärem Müll aber, sondern Ursprünglichem im Sinne von Funktionalem, Phänomenologischem, zu Menschen auch – oder vereinfacht: zurück in die Werkstatt. So kickt Authentizität immer noch und ist kein Schimpfwort. Notwendige Bedingung dazu ist einzig radikale Beteiligung. Nieder die Distanz hier, Verderben den Zwischenhändlern – nur selbstinvolviert kann davon profitiert werden und dann muss man es verdammt nochmal auch nicht mehr kaufen.
Hui, den Havanna trinken wir unterdessen pur und das klingelt, die Boxe spielt ghanaischen Highlife aus den Siebzigern und im Feuer schmelzen Glasflaschen zu orangenen Klumpen. Wir wickeln die zähe Masse um Stecken – wie dieser Slime zum Kneten von früher sieht das aus – lassen sie, noch lodernd, im pflotschigen Rasen auskühlen und zerspringen. Auf einer blechernen Kehrschaufel voll Glut richtet Martin jetzt Salbei an und Rosmarin, Süsspalme und Palo Santo – das sakrale Räucherholz – er fächert uns nacheinander in eine Schwade süsslichen Dunst. Es ist zwei Uhr, als ich mich schwitzend aufs Velo für nach Hause setze, das Kondenswasser am Lenker ist gefroren.