Ein Kuss im Herz der Aufwertung

Eine Vitrinenfront mit zwei Räumen an der Zähringerstrasse: Die Räume dahinter bieten seit 2013 Unterschlupf für den Off-Space Sattelkammer. Durch die Jahre entwickelte sich ein gestandener Kunstraum, mit Ausstellungen von internationalen und regionalen Künstler:innen. Auf dem Internetarchiv der Sattelkammer finden sich oft ortsspezifische Arbeiten, mit gesundem Abstand zum White Cube. Als Teil der Praxis organisierte das damalige Kurationsteam Science-Talks. Im Sommer 2021 hiess es für das Team: Sabbatical, die weitere Nutzung wurde ausgeschrieben.

Für zwei Monate wurde die Sattelkammer dann zur «THEKE», das erste Projekt von lippleck (Laura Grubenmann, Nina Trachsel). Es gab Essen und Konzerte an der raumfüllenden Theke. Später 500ml, ein junges Kollektiv, das sich mit niederschwelligen Kurzfilmfestivals, Flohmi und Kartoffelkunst versuchte. Die Auszeit wurde zur Übergabe, und ab letztem September hat nun das Bacio Collective die Kuration des Kunstraumes inne.

Verflossene, Neue, wir haben uns hier und da getroffen, telefoniert, gesprochen. Mit Nico, Viviane und Basil von Bacio direkt im Kunstraum, mit Myriam und Yvonne vom Ex-Kurationsteam sowie Carol von 500ml am Telefon.

Es sieht nach Umzug aus – draussen steht noch die lila Theke und ein paar Paletten vom Kollektiv 500ml, Artefakte der letzten Versuche. Ein paar Bänke wurden reingebaut, sonst wird sich räumlich gar nicht viel verändern. Der Boden ist gezeichnet von vielfarbigen Flecken, Patina der ursprünglichen Nutzung als Sattlerei. Mit Gerbsäuren wird hier aber schon lange nicht mehr hantiert. Auch die «Alte Schreinerei» im Mattenhofquartier, wo das Bacio Collective vorher werkte, trägt das ursprüngliche Gewerbe im Namen. Es ist kein Zufall, führen die Gespräche irgendwann zur Gentrifizierung. Das traditionelle Kleingewerbe verschwindet, es kommen neue Läden mit durchgestyltem Interieur, die bekannte Leier – wir sind im Herz der Aufwertung. Die Zähringerstrasse kreuzt die Mittelstrasse, Laufsteg Nummer eins für die Gelato schleckenden, Kinderwagen stossenden Jogger:innen mit mittleren bis hohen Gehältern. Die sind ja alle auch wegen diesem Flair hierhin gezogen, der von einem Kunstraum versprüht wird. Bis sich Wenigverdienende, Migrant:innen oder Student:innen, die die alten Arbeiterquartiere geprägt haben, die Mieten nicht mehr leisten können. Auch die Wohnungen über der Sattelkammer wurden saniert. «Die Beziehungen zur Nachbarschaft haben sich verändert», sagen Yvonne und Myriam, die über mehrere Jahre die Aufwertungsprozesse beobachten konnten. Auch das Brocki vis-à-vis ist eingegangen. Wo man einst für wenig Geld Material bezogen hat, ist man jetzt mit dem früheren Besitzer konfrontiert, der die Interimsphasen des Leerstands in der Sattelkammer intensiv beäugt – die Lage ist gut. Diese sich schleichend zuspitzenden Zustände führten auch zu Hemmung und Zweifel an der Raumnahme beim Kollektiv 500ml, wie mir Carol erzählt.

In Bern ist die Kunstszene klein und familiär, man kennt sich. Und organisiert sich untereinander. Das Kollektiv Bern, ein Zusammenschluss Berner Kunsträume, organisiert regelmässig Stammtische, wo die verschiedenen Gruppen zusammenkommen und sich austauschen. Dort trafen sich auch das Kurationsteam der Sattelkammer und das Bacio Collective zum ersten Mal.

In den Gesprächen war der Wunsch, Zugänge zu öffnen, stark spürbar. Kein Wort fiel häufiger als das der Niederschwelligkeit. Eigentlich ein ziemlich hoher Anspruch. Ein Off-Space kann in erster Linie der Kunst dienen, Vermittlung an ein kunstferneres Publikum und die Verwertbarkeit der Werke können, anders als in einem Museum oder einer Galerie, hinten angestellt werden. «Off-Spaces sind Experimentierfelder und Katalysatoren für die Sichtbarkeit, Vernetzung und Produktion von Kunst und Kunstschaffenden», sagt Myriam. Und weiter: «Viele Kunstraumkollektive haben eine Halbwertszeit von vier bis sechs Jahren. Der Wechsel und die Übergabe von einer Generation zur nächsten gehört zur strukturellen Gegebenheit. Auch in Anbetracht der unbezahlten Arbeit. Es gibt Prozesse der Professionalisierung über die Jahre und es ist super, wenn die auch wieder aufgebrochen werden und frischer Wind möglich ist.»

In der Alten Schreinerei, wo das Bacio mit Kurationen begonnen hat, spürte man diesen frischen Wind. Der Raumkontext war nicht ausschliesslich kunstbezogen. Das Publikum, viele sehr jung und auch von ausserhalb des Hochschulkreises, aber mit grossem Interesse an Getränken und der Stimmung. Mehr Vibe als Inhalt? «Es hat uns hart zu gehen, aber wir freuen uns auf diesen neuen Raum» sagt Nico vom Bacio Collective. Der Wechsel ermöglicht auch erstmals ordentliche Förderung. Die ehemalige Sattelkammer mit ihrer Geschichte birgt Verantwortung und gibt neuen Fokus auf das Kunstschaffen.

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Oktoberausgabe des KSB Kulturmagazins.