Ein Loch für die Katz

Diese Stadt hat ein Problem mit ihrem Untergrund.

Wir sitzen im Tram und mustern die Quartiere, wir lauschen hellhörig den Gesprächen. Wir sind ausgehungerte Raubkatzen. Wir haben keinen Rappen, wir haben keinen Abschluss, wir haben kein «Projekt». Wir haben eine Wunde. Unsere Wunde ist ein fehlendes Loch.

Du hast ein Loch im Porte-Monnaie, Du hast ein Loch im Zahn, im Kopf, im Herz, Du bist im Loch gerade, Du sagst Suicide-November und lächelst, Löcher sind überall und über uns im All hats Löcher: Alles verdampft, sagst Du. Alles verdammt.

Unsere letzten Löcher sind bald verschluckt. Am Burgernziel und an der Bernstrasse in Ostermundigen sind sie bereits Geschichte. Auf der geplagten Schützenmatte darf kein Furz die 93dB-Grenze überschreiten. Wenn eine in dieser Stadt ein Konzert veranstalten will, muss sie in die Strukturen der wenigen alternativen Musiklokale einhaken, muss sich Monate im Voraus einen Termin erbetteln – Zeit, die der tourende und spontan-vernetzte Untergrund abseits des Musikmarkts nicht hat. Und nicht haben will.

Ein leerer Keller, ein obsoleter Schopf, ein vergessener Unterstand, ein staubiger Estrich, ein verlassener Lagerraum, ein ehemaliges Büro – all das könnten Löcher sein. Auch die alte Meinen-Metzgerei hätte ein schönes Loch abgegeben. Eine Ausnahmeerscheinung immerhin, ein seltener Betonschatz in dieser von der Industrie vergessenen Bürolistenstadt. Aber noch bevor sich irgendwas Unberechenbares in diesen finsteren Hallen hätte einnisten können, stopft die Verwaltung alle Löcher. Und schreibt sich kulturelles Engagement gut – für Atelier-, Büro- und Lagerfläche, befristet bis übernächstes Jahr und «in den verschiedensten Branchen: Grafik, Fotografie, Holzverarbeitung, Malerei, Keramik und Kunst.» Willkommen im sterbenslangweiligen Kompromiss zwischen Sozialdemokratie, Hochschulkultur und Neoliberalismus.

Ein Loch entsteht in der Nachlässigkeit, seltener als bewusste Aussparung. Löcher entstehen gerne spontan, irgendwo reisst eines auf, bald ist es wieder verschwunden. Aber Nachlässigkeit ist nun nicht die Stärke dieser Stadt. Am Montag war Zibelemärit und am Dienstag alles matt und picobello sauber merci, nicht ein Näggi hat überlebt noch ein Müüssi.

Das Berndeutsch kennt sich eigentlich aus mit der Sache: Das Näggi entsteht, wenn Materie abgetragen wird. Das Müüssi entsteht, wenn Materie gestaucht wird. Beiden fehlt es schliesslich an Tiefe – die festen Strukturen dehnen sich rasch wieder aus oder werden kaum angetastet. Wanderkultur, Blitzbesetzungen, Sauvages, sie sind wichtig, hinterlassen Müüssi, Näggi, Dellen, Beuelen. Und stiften Bewusstsein für subversives räumliches Denken im besten Fall. Aber sie können keine Löcher schlagen. Ein vernetzter Untergrund benötigt Beständigkeit, er muss im Schatten seine Wurzeln schlagen. Die Stadt aber mag den Schatten nicht, leuchtet jeden Winkel aus, verdichtet nach innen, investiert in den öffentlichen Verkehr, in Veloachsen und Dreissigerzonen – sie wird keine Aussparungen machen wollen.

Diese Verdichtung als Aufwertungsstrategie hat ihren Preis. Die «Lebensqualität» hat ihren Preis. Am Beispiel der Schützenmatte wird sichtbar, dass am Bollwerk nicht alle ihren Platz finden. Dass es eng wird im Schatten und in der Konzentration von sonstwo Unerwünschten unter Umständen gefährlich. In der Matte aber gilt Totenstille nach zehn, in den Quartieren wird jedes Löchlein gestopft und jedes Näggi gekittet. Und die Altstadt kann sich niemand leisten.

Wohin also?
Sind wir zu langsam?
Werden Raubkatzen schwach, bevor sie verhungern?

Oder werden sie umso vehementer?

KSB sammelt Hinweise. Weisst Du von einem Ort, in dem sich eine laute, widerspenstige subkulturelle Praxis einnisten kann? Von einem Estrich, Keller, Schopf? Ein Ort ohne Internetpräsenz, ohne Sicherheitskonzept, ohne Ausschanklizenz – ein Loch? Wir danken für jede Mitteilung und leiten die entsprechenden Hinweise auf Wunsch auch anonym an die Raubkatzen weiter. Drop in: sein (aet) ksb.ist