Emanzipation ist keine Phase

Dawills Album «Moringa» lief im Herbst 2018 in gefühlt jeder Küche, an jeder Afterhourparty, in jedem Schlafzimmer. «Sitz uf mis Gsicht» war ein Erdbeben von einem Cunnilingus, der die Schweizer Hiphop-Szene erschütterte. Endlich schien einer mit der frauenverachtenden Tradition des Hiphops zu brechen, virtuos und leicht jene patriarchale Biederkeit abschüttelnd, die auch in der Streetculture vorherrscht und jene Männlichkeit, die gegenüber Frauen nur Gewalt oder höchstens verklemmtes Besitzgebaren zulässt. Endlich sagte mal einer, dass er es geil findet, wenn man ihm aufs Gesicht sitzt. Was Dawill mit «Moringa» zu transportieren schien, klang nach lustvoller, emanzipierter Erotik. Damals hätte ich mich ganz gerne auf Dawills Gesicht gesetzt, ich wäre ganz gern mit Dawills Zunge gekommen. Bin ich vielleicht auch, also indirekt, durch die Zunge eines anderen Boys, während Dawills Songs liefen, im Hintergrund in der Fick-Playlist.

Bei «Tschädere» hiess es noch «I wet kei liebi vo dir, i wet tschädere, tschädere, tschädere.» Letzte Woche hat Dawill eine neue EP herausgegeben und vorgestern ein Video zum Song «Polyamorie», bei dem es jetzt nun doch um die Liebe geht. Das ist eine nachvollziehbare Entwicklung, nach dem freien, emanzipierten Sex zur freien, emanzipierten Liebe. Nur schade, dass es bei «Polyamorie» nicht um freie, emanzipierte Liebe geht, sondern um die üblichen toxischen Beziehungskonstrukte. Im Video wird gleich am Anfang eine Blume zerpflückt, ich brauche dich, ich brauche dich nicht, ich brauche dich, ich brauche dich nicht. Ich brauche dich. Was folgt, klingt etwas verdächtig nach Julia Engelmann und sieht im Video auch erschreckend fest danach aus: «Chum mi göi go stärne pflücke, ei nacht lang hani zyt. Chum mir lösche aus wo fremd isch u verlüre üs ir zyt.» Danach zwar die Erleichterung des ravigen Beats und Dawills starkem Flow, aber inhaltlich bleibt die Auflösung aus: «Mami, gib mir Space ja, wäg dir bini gfange imne Chreis, Gyal.» Normative Romantik, einengend und einnehmend, geprägt von Besitz und Abhängigkeit und ungebrochen die formulierte Unzulänglichkeit Liebesbeziehungen zu führen, so dass das Ganze zur Vorlage für plakative Aussagen über diese oder jene Generation, die in Zeiten der digitalen Revolution verlernt hat, Beziehungen einzugehen, zerfällt.

Aber Liebe ist keine Kompetenz und Geliebte sind keine Waren, die man besitzen oder brauchen kann. Und dass heteronormative Beziehungen oft toxisch und problembelastet sind, liegt nicht daran, dass wir etwa verlernt hätten, sie zu leben, sondern daran, dass sie von Machtstrukturen geprägt sind. Daran, dass Liebe kommerzialisiert wird und dass Popkultur nicht selten eine frauenverachtende Version der Liebesbeziehung propagiert, was der toxischen Männlichkeit und der damit verbundenen Gewalt die Türen öffnet. Liebe ist ein komplexes politisches Feld, wo Kämpfe ausgeführt werden, die sogar tödlich enden können: Immer noch werden Frauen erschreckend häufig von aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet. Heteronormative Liebesbeziehungen sind in einem patriarchalen Kontext mehr als ein unbehaglicher, einengender Umstand, auf den man vielleicht in der Jugend einfach keinen Bock hat, bis man dann alt genug ist, sich niederzulassen, wie Dawill es in «Polyamorie» sagt. Emanzipation ist keine Phase. Sie ist eine überlebenswichtige Notwendigkeit. Und ohne emanzipierte Liebe, wird es auch mit dem emanzipierten Sex schwierig.