Insta/nofilter: Freiheit!

Das ist die letzte Woche verdaut ausgekotzt das heisst rückwärts.

Am Samstag um Mitternacht auf Sartorius getroffen, den Schreiberling, wie er durch die Dampfzentrale schleicht. «Ich wäre doch lieber ein Sportjournalist» sagt er. Ja, es ist der Traum vieler Männer, es ist auch meiner: einmal mit Urs Rihs oder sonst einem Schnauz zusammen in einem Saab 900 nach Ambri-Piotta in den Höllenschlauch der Leventina runter auf ein Eishockeyspiel. In der Nacht im Hotel einen Meisterschrieb hacken, der das brutale Helden-Narrativ des Sports, die poetischen Angebote und eine Selbstkritik von Männlichkeit feinfühlig einlösen kann, ohne weinerlich zu sein. (Da fängt das Problem schon an: «weinerlich».) Sartorius hat übrigens am Fussballspiel gegen Manchester United einem Sitznachbarn die Plastiksonnenbrille von der Nase gehauen, das hat er mir auch erzählt, aber ich bin nicht drausgekommen, wie absichtlich er das gemeint hat, ob aus Freude oder Feindseligkeit oder gar einer lustigen Mischung. Im Kesselhaus steht ein Zelt wie ein Coronazelt, weiss, steril, temporär, darin Rauch, halluzinierende Menschen, New Age, Emo, Drones, Mantras.

Am Freitag im Rank, zwischen Studentenclub und Reitschule, das Haus – wie ein Traumhaus, aber nicht im Sinn, dass man es besitzen oder bewohnen möchte, eher so ein Psychoanalyse-Symbolhaus aus dem Katalog der inneren Abgründe, durch dessen Mauern man fiebrig stolpert, kaum herausfindet, nächtelang. Ganz anders in echt: Vielleicht der wärmste Ort der Welt. Die Gastgeberin feiert fünfzig, auf dem Grill liegen integrale Tiere, Lebern und Herzen – ja, Lebern und Herzen entzünden. Der heute beste Discjockey der Stadt machts aus dem Handgelenk: die Platten müssen immer drehen. Die meisten Menschen hier haben nichts zu verlieren oder zu verteidigen und so geht Frieden. Dazwischen liegt eine sehnsüchtige Aussicht auf die Kleinstadt: Die Eisenbahnbrücke im dynamischsten Winkel, flieht über abschüssige Garagen, aus einer flimmert ein portugiesisches Fussballspiel. Das Gebiet mahnt an die dystopischen Tischsets, die es manchmal im Sous le Pont gibt, die mit dem abgestürzten Zug. Derweil aus Popup-Favelas auf der Schützenmatte seltsame Dämpfe in den Dämmerhimmel steigen. Aber ich bin heute im Hotel Bellevue Palace aufgewacht und habe gefrühstückt wie ein Muttersohn.

Am Donnerstag: Irgendwann vor dem Rössli: «Willst du mit mir im Bevellue schlafen?» – «Unbedingt. Willst du ein bisschen Brot?» – Und durch die Altstadt ziehen sie wieder, die aus verschiedenen, das heisst guten und weniger guten, Gründen Unzufriedenen, haben jetzt einen gemeinsame Idee von: «Freiheit!» Unter der Laube vor dem Adrianos Café begleitet ein wirklich freies Wesen die indifferenten Passanten mit Rückkoppelungen in den seelischen Tod ihres Feierabends. Aber ich bin nur auf Durchreise: Im Studentenclub eine Rockband aus dem Kosovo, hat mich losgeschickt mit einer Note aus Geld, soll ich Backpulver holen, die wollen unbedingt noch ein Brot backen im Backstage. Erstaunlich das, wie Brot in allen Esskulturen der Welt vorkommt.

Am Mittwoch erreicht mich eine Nachricht von der Warschauer Strasse in Berlin: «meine ohren wummern immer noch von 4 tagen rave. wenn ich meine augen schliesse kann ich mir reymour vorstellen. vielleicht im rotlicht mit viel rauch? wenn ich meine augen öffne seh ich aber doch nur wippende calvin klein tangas.»

Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke.