Dein KSB denkt zur Zukunft, schiffbrüchig, wo die Zeit so ungewiss ist, wie wir es noch nicht erlebt haben – ist es doch höchste Eisenbahn, wenigstens zu stranden.
«Damals sind wir nachts einfach losgeflogen, unter Radar auf Frankreich mit ein paar Kollegen und dann in aller Herrgottsfrüh gelandet. Ich kannte die Region wie meine Westentasche. Wenn es aber Nebel hatte, musste ich nach Instrumenten fliegen und voll darauf vertrauen, auch wenn das Bauchgefühl etwas anderes sagte. Die Bodenleute hiess ich dann jeweils, per Funk, am Anfang der Graspiste Strohballen anzuzünden, damit ich wenigstens einen Anhaltspunkt hatte in der Suppe.»
Ich steh bei meinem Onkel David in der Werkstatt, als er das sagt – eigentlich singt er das ja – und dabei sachte einen Ölfilter unter meinen alten Vierzylinder dreht. Handfest, höchstens, wie ein Configlas – weil es sonst die Dichtung quetscht. Mein Auto muss zur Prüfung und David ist ein Zauberer. Aber die Zeit kann auch er nicht aufhalten – vielleicht noch zwei Jahre Galgenfrist, wenn die Bilderstürmer von der Kraftfahrzeugbehörde einen Tag der Gnade einfahren. Und das ist in etwa so wahrscheinlich wie ein rostfreier Auspuff beim Fiat Panda.
Und was dann? Elektroautos, Elon fuckin‘ Musk, really? Der plant doch mit den Techporn-Nerds aus dem Valley schon den Abflug auf den roten Planeten. Oder er puzzelt mit seiner Freundin Grimes (welche letztlich mit Miss Anthropocene den gefährlichen Soundtrack zur Dystopie lieferte) an irgendwelchen transhumanistischen Luftschlössern. Beide zusammen im Schneidersitz auf der teflonbeschichteten Bettwäsche. Tesla, der Raketenschweif der abstürzenden Brieftaube aus einer elitär ersponnenen Zukunftsvision. Betreff: Nachhaltigkeits-Phantasterei.
«Wenn etwas nachhaltiger wird, bedeutet dies erster Dinge eine Effizienzsteigerung. Das heizt den Konsum an, weil es einer Verbilligungsstrategie gleichkommt. Jevons-Paradox – benannt nach dem englischen Ökonomen William Stanley Jevons, der hatte im viktorianischen London beobachtet, dass mit zunehmendem Wirkungsgrad der Kohleöfen der Rohstoffverbrauch dadurch nicht sank, sondern, im Gegenteil, zunahm. Weil die Kohle dadurch billiger wurde.» Das hat mir unlängst so ein BWL-Heini, noch am Tresen, erklärt und ich musste es mir notieren. Weiss der Teufel, ob das so zu generalisieren ist – aber die Strohballe Greeneconomy brennt nicht. Ich brauche ein anderes Signalfeuer.
Die Litanei des Justen
Bei meinem Onkel in der Bude gehen die Leute ein und aus. Die Garage liegt am Rande eines Dörfchens im Solothurnischen und da kommt der Bauer vorbei, der Bauherr, der Architekt, der Wildhüter und die parlieren dann – gebührend mit zwei Meter Abstand momentan – zu Kapselkaffee und mehligen Keksen.
(Aus einem Werkzeugschrank weit hinten klimpert leise Thelonious Monks «Don’t Blame Me», Monk läuft fast immer beim David.)
«Meinen Italiener musste ich heute Morgen direkt wieder heimschicken», meint der Bauherr, «der war am Wochenende unten bei seinen Leuten in Kalabrien, der konnte ohne weiteres einreisen. Ich hab ihm gesagt, ohne Test kommst du mir nicht auf die Baustelle! Ich bezahl das auch, hab ich ihm gesagt, aber er wollte nicht hören – ich musste ihn zwingen. Am besten würde die ganze Welt einfach für zwei Wochen zuhause bleiben, dann wäre die Sache gegessen.» «So einfach ist das nicht», grätscht der Architekt ab, «solange ist ja die Inkubationszeit, wenn du also erst nach zehn Tagen krank wirst, dann steht die ganze Sache noch bevor, plus Rekonvaleszenz – das könnte also gut bis zu einem Monat gehen.» Der Wildhüter steht ausserhalb, krumm in den speckigen Gummistiefeln und brummt sowas wie: «Alle zurück zur Famile, sowieso besser und dann schauen wir was übrigbleibt.»
Die Litanei des Justen – Atombombe aus der Mitte.
Dieser Stammtisch-Sozialdarwinismus, ein Zeugnis der Selbstverstümmelung der eigenen Gefühlssphäre. Und ich liefere hiermit ein nächstes Gift frei Haus: der Reflex der Radikalverkürzung zur Veranschaulichung. Dazu antwortete mir eine Freundin aus Frankfurt neulich auf einen deplorablen Ausdruck an Frustration und Kulturpessimismus meinerseits in einer Mail folgendermassen:
«Die Welt ist überzogen von einer Komplexitätsdegeneration. Das resultiert in einer integralen Zusammenhangslosigkeit, weil immer nur Information flimmert und kaum Kontextualisierung. Lass mich ein Beispiel machen: Nehmen wir den 30-jährige Krieg im 17. Jahrhundert (ca. 6 000 000 Opfer). Der hatte auffällige strukturelle Ähnlichkeiten mit dem heutigen Nahostkonflikt. Ich geh jetzt nicht ins Detail, aber ein Haufen unbestimmter Widersprüche bei den Konfliktparteien führt immer zu einer verbeulten Dialektik und somit zum Worstcase: eine Synthese wird quasi unmöglich, löst man das eine Problem, wird ein anderes dadurch hervorgebracht. Einfach gesagt: es ist kompliziert. Und vielleicht löst nur der Zufall sowas auf oder Totalermüdung. Scheisse – aber trotzdem hilft es, das so mindestens festzuhalten. Solches Denken gehörte schon an die Unterstufe. Weil das dem grundsätzlichen Verstehen hilft und nicht nur dem spezifischen Nachvollziehen. Also, wenn es dir elend geht, auch persönlich, dann such nach Gleichwertigkeiten in der Geschichte, lass dir das von einer Historikerin sagen mein Lieber.»
Es war die beste Nachricht seit langem.
Und was jetzt mit Zukunft?
«Gib mir mal den 10er T-Schlüssel und den Seitenschneider, weisst du überhaupt, was ein Seitenschneider ist?» Ich reiche David das Zeug und hoffe, dass ich die richtige Zange erwischt habe um eine Blamage auszusetzen. Das müsste auch das Programm sein für nach dieser Krise, denke ich –eine Blamage verhindern, aus linker Warte – die Bluthunde warten schon. Die Welle von rechts rollt an.
Konrad Hummler – der Unternehmergolem – hat vor drei Wochen in der NZZ mit seinem «Ein Antidot gegen die Angst vor dem Coronavirus: Hamstern statt jammern» einen Kommentar abgelassen, der uns in seiner Eloquenz die drohende Gefahr bereits in seiner Potenz vorrechnete. Dabei eröffnet er mit einer Nobilitierung von Hamsterkäufen, indem er an diesem Beispiel den Citoyen aufleben lässt, der vorsorgt, abwägt, differenziert und verhältnismässig – vernünftig – handelt. Dabei stösst er die Tür zum Réduit-Ethos dergleichen auf, als wäre es das Selbstverständlichste der Zeit. Im Anzug der Demut schiesst er danach durch die Zinnen einer altbürgerlichen Staatsraison auf alle Kollektivzusammenhänge, die über den Solidarkreis der Kernfamilienbande oder des KMU hinausgehen. Der Hybris verfallen wer glaubt, es gäbe ein such thing as society. Kostprobe gefällig? «Die hedonistische Eventkultur mit ihrer Inflation öffentlicher Zusammenrottungen zu unwesentlichen Zwecken hat die Vergnügungen in bescheidenerem, privatem Rahmen verdrängt.» Danach stürzen weitere von Schweizerkreuzen durchsetzte Lawinen an Republikanergewäsch wie vom höchsten Punkt der Eigernordwand auf die Leser*Innen. Hummler beschliesst seine reaktionäres Think Piece indem er den Bogen zum Weltwirtschaftssystem schlägt, auch dort zur Demut aufruft, und zu individueller Verantwortung natürlich. Das neoliberale Karzinom diagnostiziert er den uferlosen, politisch Progressiven. Er dreht den Spiess einfach um, und das Gefährlichste dabei – mit vielem hat er recht. Nur dass er damit das patriarchale Prinzip errettet. Wenn er folkloristisch dazu ermuntert, auf die «Dauerwürste» zurückzugreifen: Landjäger, Salametti und zum Dessert gibt’s dann das Atombrot aus dem Bunker.
Schöne Perspektive Herr Hummler, ich kondoliere.
Dass das Silicon Valley, diese «Worldcom», zu funktionalistischen Phantasien eines unaufhörlichen Wachstums masturbiert, hatten wir eingangs schon. Und dass genau diese Superhirne dabei demokratisch wählen, ist unbestreitbar ein Problem. Sind es zudem die Ingenieure genau jener gefährlich reibungslosen und somit narrationsfreien Normalität, nach derer sich viele der Privilegierten – und vermeintlich Linken – in der jetzigen Krise sehnen. Man wünscht sich zurück in das erbärmliche Nichts einer bereinigten Realität, Hauptsache moralisch sauber und am Horizont eine absolut unbeteiligte Bewegungsfreiheit. Flankiert von einer Bedürfnisbefriedigung zuhause in Form mundgerechter Stücke, handverfüttert von Siri und Kompanie.
Wenn das progressiv ist, dann schiesst mich tot.
Da gehört sich Kritik. Im selben Masse aber, stösst der Opportunismus der Reaktionären der Demokratie den Dolch in den Rücken. Im Sinne Hannah Arendts: Man kann sich selber auf den Leim gehen, gewissermassen. Das hatte sie einst jenen intellektuellen Zeitgenossen, die sich geistig wie Aale dem NS-Regime zuwandten, diagnostiziert. Weil diese dort den Erhalt des Staates als gesichert sahen (nach den pluralistischen Turbulenzen der Weimarer Republik). Dr. Hummler ist kein Nazi, nein, aber er suggeriert in Krisenzeiten einen gesunden Urzustand eines Systems, den es so nie gegeben hat. Der Kurzschluss ist der Platine von Beginn her eingeschweisst, gesetzte Widerstände verzögern lediglich den Kollaps.
Hey und Zukunft?
Wollen wir die Schande abwenden, nach der Genesung, werden wir irritieren müssen und bereits kartierte Sackgassen umfahren. Eine alternative Normalität behaupten, einen anderen Habitus predigen als bloss das Zurückfallen auf alte Muster. Wir werden uns abkehren müssen von individuellen Gefühligkeiten als Ausgangspunkt von Diskussionen. Die Angst nicht scheuen dürfen schuldig zu sein, oder dreckig. Und Geschichten der eigenen Abgründigkeit erzählen und Widersprüchlichkeit, den Echoräumen davon Platz lassen. Ohne schlechtes Gewissen. Weil wir grundsätzlich alle im gleichen Spital krank sind, mehr oder minder unglücklich.
Gelingt uns das, kann vielleicht mal wieder ein Kanon klingen und nicht bloss immer diese nervtötenden Einzelstimmen, zersplittert aus einem Scherbenhaufen einstig solidargemeinschaftlicher Ziele. Und eine Rückkehr zum bloss ökonomischen reduzierten Paradigma der Systemkritik ist damit natürlich nicht gemeint: «Sowohl als auch», wie Nancy Fraser diesbezüglich schreibt, «sowohl Klasse als auch Status, sowohl Umverteilung als auch Anerkennung». Und je stabiler der Solidarzusammenhang, desto mehr kann man dann auch technisch wieder wagen.
So in etwa Zukunft, so stell ich mir den Strand vor, Optimismus als Nahtoderfahrung vielleicht, kurz vor dem Verdursten von der Rettungsinsel an die Frischwasserquellen – und dann im Schatten von Kokospalmen liegen und sich Geschichten erzählen lassen …
«Hey, Urs, hallo, kannst du den Lift etwas hochfahren, ich steck hier unten fest verdammt! Bist du noch da?»
«Ja sorry, war gerade abgelenkt vom Lichtspiel auf der Karosserie, das hat auf dem Kofferraumdeckel grad so ausgesehen, als entstünden neue Kontinente, neue Räume für eigentlich alte Ideen. Ideen, die uns die Dringlichkeit der Zeit jetzt an den Strand spült.»
«Urs, hast du an zu viel vom Bremsreiniger inhaliert? Achtung, der ist hochgiftig! Schau, ich hab das Loch da unten einfach mit etwas Kitt überspachtelt, ist zwar nicht gerade schön, aber man sollte nicht zu viel wollen. Das ist wie in der Fliegerei, sonst stürzt man bald ab.»
«Darum seid ihr früher auch bei Nacht und Nebel und unter Radar geflogen, gell?»
«Hey, erzähl das aber niemandem!»