Am Sonntag ist die Tankstelle dein Ort. Die verständige Tankstellenfrau ist deine beste Freundin, irgendwo zwischen Distanz und Empathie wartet sie, die nicht über die Gesichter lacht, sich nicht wundert, sich nicht kümmert, obwohl es Anlass dazu gäbe: Das dunkle Gesicht und das bleiche hängen müd und aus den Mäulern stinken wir ein bisschen. Kaufen Tortellini und Bier und einen Plastiksack.
Es ist ein schöner Tag und wir laufen zurück zum Block. Der Schatten des Hochhauses liegt östlich auf der Vorstadt, südseitig die milde Feierlichkeit (Demut) des Friedhofs und im Norden das untere Galgenfeld – die Zone: Metallindustrie, Holzindustrie, Garagen und der ganze Abfall davon. Mindestens ein Puff. Ein paar Wohnhäuser. Kein Geräusch daher, am Sonntag gewinnt der Friedhof immer. Wir verschwinden in einem Wohnbau mit aufgerauter Fassade und Satteldach, weiter keine Ornamente, Nachkriegsarchitektur, da gibt es nichts zu streiten. Der typische Treppenhausgeruch und der von Pflanzen.
In Yoftahes Wohnung sind wir allein. AB Soul läuft laut, «Threatening Nature» aus dem ehemaligen Wohnzimmer am Balkon, das jetzt sein Schlaf- und Arbeitszimmer ist. Fenster aufreissen. Ausser einem Bett ist kaum Platz für die privaten Befindlichkeiten und Devotionalien, die das städtische Zwanzigsonstwas-Schlafzimmer üblicherweise preisgibt, eben ein Bett und sonst die Arbeit. Wenn neue Leinwände her müssen, zieht er um den Block und holt sich Holz von den Halden. Irgendwann wird die Arbeit auch das Nest überwuchern, damit er nicht mehr schlafen muss, das denk ich mir bei all den Farbkübeln und Pinseln, kleineren Arbeiten auf Papier in Mappen und einem halben Dutzend bemalten Europalettendeckel, hochkant an die Wand gestellt in Schichten, wie eine Kartei.
Yoftahe Efrem, 1992 oder so, aufgewachsen in Addis Abeba und Worb. Maler –
Er blättert in der Kartei: Geburt, dann Familienportrait, laut und grell und körperlich, auf jedem Brett sind Körper oder Teilkörper, Körper in Aus- und Aufschnitten, verzerrt und übersteuert. Ein anderer Palettendeckel zeigt ein Diagramm mit zwei Achsen: NIERGENDWENN, NIERGENDWO. X und Y. Liegt in der Negierung die grösste Freiheit? Die Reaktanz? Aus dem Nicht wird ein Nie wird ein Immer, das adverbisch verneinte Irgendwo wird bald zum Überall. Über Yoftahes Handwurzeln, immerhin das ist sicher, steht DON’T TRY geschrieben, gar nicht erst versuchen – das nächste Bild aus der Kartei ist ein Bergpanorama in Leuchtfarben, das uns beide langweilt, vom Balkon aus sind sie zu sehen, Eiger Maria Jungfrau, vielleicht ist es das. Yoftahe schält vom braunen Stein ein paar Schichten ab und verteilt sie im Papier. Wir machen uns eine Nachmittagsglut.
«Für solche Bilder hat man nicht lange Zeit. Du hast nur einen Versuch. Es ist wie eine Rakete bauen, entzünden und schauen, wo sie explodiert.»
Es ist eine Raketenwissenschaft, aber versuch gar nicht erst, zum Mond zu kommen damit. Wir gehen spazieren. Die Sonne kommt schon fast von unten, ihr Licht streift die Friedhofsmauer. Yoftahe trägt Finken, denn das ist sein Quartier. Niemand sieht elegant aus in Hausschuhen, habe ich immer gedacht.
Yoftahe Efrems Malereien sind am 13. Februar in der Ausstellung «Don’t Try» an der Waaghausgasse 4 zu sehen. Ab 19 Uhr. Klingeln bei Lenoir Steiger Schwab. Ab Sonntag 16.02. zeigen wir ausgewählte Bilder in unserer Sonntagsrubrik Mahogany Mall.