Seit es den Blick am Abend nicht mehr gibt, ist neben der 20-Minuten-Box ein lustiges Jekami ausgebrochen. Und so liegt da nun meist irgendetwas, das sich im Gegensatz zum Nachbar zumindest einigermassen ehrlich als Werbematerial ausgibt, aber die Leute doch auf andere Weise als sonst erreichen will. So haben sich auch die Rotpunktapotheken aufgemacht und ihr Magazin für Jugendliche, das sonst nur in ihren Filialen aufliegt, die Bahnhöfe erobern lassen. «Hä?» heisst das und beschäftigt sich mit Themen rund um den Körper, dieses Mal: LGBTQIA+. Auf dem Cover eine mit Regenbogenfarben bemalte Tamy Glauser, aber nicht, weil sie berühmt ist, so beteuert die «gar nicht so normale» (zwinker!) Rotpunktapotheke im Editorial, «sondern weil sie sich für die Rechte von LGBTQIA und allen anderen einsetzt.» Alle anderen, alle Achtung. (Tamy Glauser hat auch einmal gesagt, Blut von Veganern heile Krebs, aber das ist eine andere Geschichte.)
Im Heft wird dann zum Beispiel erklärt, was Transgender bedeutet und was Intersex, was der Unterschied ist zwischen sex und gender, und es werden einige Menschen vorgestellt, die sich irgendwo in einem nicht-binären Geschlechtsspektrum bewegen. Da wird manchmal etwas gar unsorgfältig vorgegangen, wenn etwa jemand Asexuelles als Person definiert wird, «der es an sexueller Anziehung mangelt». So richtig begriffen haben es die Autor*innen offenbar sowieso nicht: Ein «künstlicher Pipimann» wird hier beworben, um «den grössten Vorteil des Mannseins als Frau geniessen» zu können – wo ist sie denn jetzt, eure Genderfluidität? Nicht nur Frauen haben eine Vulva.
Aber egal: Was ist da schon zu erwarten. Viel wichtiger ist ohnehin die Frage, ob man sich irgendwie darüber freuen sollte, dass es die Themen von LGBTQ in die Mitte der Gesellschaft geschafft haben. Ein ewiges Dilemma, denn ja: mehr Akzeptanz ist gut und auch mehr Aufklärung. Aber auch nein: Weil sich dieses Magazin «für alle» im Grunde einfach an Kundschaft widmet und damit einen Kampf entpolitisiert, dem etwas Radikalität nach wie vor gut tun würde. Konsum als Gleichstellungsfaktor: Der Rotpunktapotheke ist es egal, ob du schwul bist, Hauptsache, du kaufst bei ihr ein. Überhaupt: Wenn die Mitte der Gesellschaft der Ort ist, wo uns zwar gesagt wird, wir seien «perfekt, so wie ihr seid», uns aber auch angeraten wird, mal in der Apotheke vorbeizuschauen, um einige nice Produkte zu kaufen: dann bin ich mir nicht sicher, ob wir dahin wollen.