Gitarrentegretal®

Ob es der November ist, irgendwann ab Winterzeit fällt die Guillotine, «ça te fout le cafard» – sagt man im Welschen: dass es einem den Käfer eintreibe – eigentlich sogar die Kakerlake. Und dann rascheln diese Beinchen der Schwere in der Birne und im Herz, ohne Aussicht darauf, die Plagegeister wieder rauszukriegen, immerwährende Mücken. Manche tendieren dann zum Abtauchen, dazu, den Kopf ins Vogelgezwitscher der eigenen Gedanken zu versenken; andere versuchen sich die Rübe zu schinden – das Problem von aussen herangehen und mit Werkzeug. Gitarren eignen sich – das hat ein Selbstversuch der letzten beiden Wochen gezeigt. Zwölf Konzerte, sieben Orte. Und Gitarre ist nicht gleich Gitarre.

Mittwoch, 2.11., J&L Defer, Café Kairo

Die Klampfen liegen bei Anita und Gabriele von J&L Defer in Händen, die auf Sicht so gegerbt wirken, als ob sie auch tagelang Geissen melken könnten. Schönes Wildleder. Die beiden spielen ihren Grunge sinnigerweise von der Textur eines intakten Alpidylls; von explodierenden Felsbrocken im Flussbett einer Gewittersommernacht im Val Mesolcina bis hin zum Rieseln der Blätter von Schmetterlingsblütlern auf reifenasses Moos. Man sollte in diesem Zusammenhang nicht von Gitarrensound reden, es schiene übergriffig. Die Wirkung auf Zuhörende ist kathartisch bis todestriebs-katalytisch: Man stellte sich danach problemlos vor, wieder Erde zu werden oder Stein.

Donnerstag, 3.11., Bandit Voyage & Dachs, Rössli Bar   

Anissa und Robin aus Genf, Bandit Voyage – «der Mensch ist eine Bombe», hat Schlingensief mal gesagt und die Saiten bei Bandit sind scharf. 60ies Ramble, Chanson auf Acid oder Autotune. Freude an der Freude. Parabolische Texte, harmonische Melodien, euphorische Stimmen wie ab der Kilbi – legitimer Kitsch, weil schmerzlos, weil lustvoll und darum nicht missbräuchlich. Und dass dabei auch Althergebrachtes und Stereotypen reproduziert werden – geschenkt. Liedchen wie Zuckerstöcke, stimulierend bis aphrodisierend. Der Dachs hingegen – Basil Kehl und Lukas Senn – stellt im Verhältnis dazu die Dunkle Seite des Mondes dar. Eine kühle Performanz von Stücken, die zwar satt von Synthesizern und somit durchaus vorhandener Farben sind, aber trotzdem monochrom wirken. Existenzialistisch, ihre Texte, die im Schafspelz kommen, dabei aber untergründig die Krallen ausfahren – die Geschichte vom rausgeworfenen Schlagzeuger etwa, der jetzt alleine im Luftschutzkeller unten die Musik seiner Ex-Band mitspielt, wenn sie am Radio läuft. Der Dachs spielt Lieder, die wie kleine Maulwürfe in dir zu wühlen beginnen und dabei Traurigkeitsfunken auslösen, wenn sie auf die Nerven treffen.

Freitag, 4.11., Howald & Film 2, Spinnerei

Howald hängt am Hals der Gibson ES335, seine Finger sind Klammern aus Gummi, überflexible Bänder von Volleyballspieler*innen, Knöchel kippen ab aber brechen nicht, der Klang katapultiert einen in das Kirchenfeld. Distinguiert, nicht mehr die Kettenzüge wie bei Industrial Plants, seiner letzten Kassette. Auf Amnis Alsace ist jetzt mehr famos technische Introspektion, japanischer Ahorn, gepflegte Gärten. Als ringe er auf einem herbstlichen Roadtrip um Teile seiner selbst, die in der Fabrik zwischen Zahnrädern verloren geglaubt oder vom Dampfhammer übertönt waren. Das Elsass hat seit dem 17. Jahrhundert fünf Mal seine Zugehörigkeit gewechselt. Beim Zuhören geht man ein inneres Reissen mit und findet sich, geeint im Suchen, in einer Art platonischen Situation mit offenem Visier.

Film 2 hält die Schotten dicht, kompakt und mit Sandstrahl aus dem Verstärker alle Trommelfelle der Kugel zu bürsten. Hardcore, dazu eine ans Absurde mahnende Bühnenpräsenz, als stellten sie das Frontispiz einer jeder Gitarrenband, den Bühnenauftritt, zur Disposition. Hart am Wind, die Masten biegen, Surren und die Sturmspitze erreicht, schreit das Mikrofon: «Eitelkeit, Eitelkeit, wie gefällt dir deine Eitelkeit?» Und setzt so eine Spiegelung auch des Publikums ein, das im gleichen Boot sitzt, wie es sich bewegt zu dieser wissentlich coolen Band und wenn die Kiste konzeptuell weiter so auf Kurs bleibt, dann muss die nächste Landung eigentlich ein internationales Label sein.

Mittwoch, 10.11., Blaublau Alle Sterne, Dachstock

Das Orchester der Indie-Schweiz, dirigiert vom Schlachtross DJ Real Madrid – vierzig Musiker*innen, die sonst ihre eigenen Lebensläufe und Kunst inszenieren müssen was das Zeug hält, um an den Töpfen zu bleiben, auf Line-ups zu erscheinen, von Labels veröffentlicht oder von Institutionen bezahlt zu werden. Hier finden sie sich für eine knappe Woche im Ferienlager wieder, frei der kanonisierten Zwänge im Businessbuzz und Tourhack. «Es gilt nur noch die Schwarmdynamik», sollte mir Mario Hänni einen Tag später dazu auf der Rückbank eines Kleinwagens im Nebel der A6 von Thun nach Bern sagen. «Dieses Gefühl, in diesem Haufen zu spielen und zu hören, wie auch eigene Songs sich irgendwo hinbewegen und dann kann man loslassen, endlich auch loslassen. Und vorne steht einer und übernimmt die Verantwortung und geniesst das Vertrauen von eigentlich allen – schon krass.» Seine sanften Augen lachen, als er das sagt und wir diskutieren noch, dass das Problem des Schwarms schliesslich die kompromisslose Annihilierung des Andersartigen (Individuellen) sei und dass das hier aber eben keine Rolle spiele – es ist der Sinn der Sache. Und auch als Zuschauer*in hat man das Gefühl, dass es an diesem Konzert gar nicht so sehr um uns als Adressat*innen geht, so die Gitarren sich in Bögen der Streichhölzer entspannen können und alles wird alles e basta.

Donnerstag, 11.11, Tae Ping, Café Bar Mokka, Thun

Tae Ping war der Augenschuss des kalten Sommers, damals mit der Jazzwerkstatt im Estrich vom Progr. Der Abend war ein Polaroid – man blieb im Treppenhaus kleben zu Feuerzangenbowle nach der Musik und rauchte auf den Stufen zu den Löchern raus. Als würden alle zusammen die Sportstunde schwänzen und in den Ohren hallte noch Sarah Palins Leinenstimme. Im Mokka spielen sie diesen Schliff zwischen Grunge und Folk dann wie ein Batiktuch. Oder vornehmer, wie die Sonnenfleckenaquarelle von Galileo Galilei, eine Ode an die Unschärfe. Im Nebel der fahrigen Stringenz wird eines nochmals klarer – das Versprechen um das Potential dieser Band.

Freitag, 12.11, Buck Curran, Plan B Records / Bad Mojos & The Monsters, Dachstock

Der Plan B Records ist ein Plattenladen nahe der Tramstation Burgernziel. Ab und an steigen da im Halbprivaten kleine Konzerte, lange Haare, Leder, Joints, Insiderjokes um krude Dokus und die Kulisse irgendwo zwischen Tikibar und Luftschutzbunker – die Gitarren lieben es hier zu schreien. Eine modefreie Sphäre, Oase. Und an diesem Abend in der Potenz, weil auch die Locals vor Fremdland zu stehen scheinen. Buck Curran tritt mit akustischer Yamaha an, ohne Mikrofon, gibt New-Age-Ragas zum Besten, Greenwich Village Folk, trinkt einen halben Liter Brandy wie Wasser, während er zwischen seinen Kunststücklein feinfühlig von Beziehungen spricht, von dem viktorianischen Holzhaus an der Ostküste der Staaten, wo er herkommt und das jetzt von Junkies bewohnt wird, weil er mittlerweile in Bergamo lebt, es aber trotzdem nicht übers Herz bringt, die kleine Hypothek dafür aufzugeben. Ein Zweifler ohne zu Verzweifeln, unterwanderter Profi, wie er Storytelling und Performance, Songwriting und Technik verbindet. Und es erstaunt nicht, dass er – nicht ohne Stolz – zum Schluss auch davon erzählt, wie die Indie-Ikonen von Yo La Tengo seine Lieder an Konzerten als Zugaben spielen.

Im Dachstock angekommen muss ich mich erstmal nicht orientieren, die Bad Mojos ballern – eins, zwei, drei, vier und ihr Gig ist um. Schon lange nicht mehr so auf die Fresse bekommen von der Bühne, man müsste das selber erlebt haben. Der Physiotherapeut sagt mir immer: «Das Gefühl vom Wohl-Weh, nicht der Schmerz, aber das Wohlweh, da musst du immer wieder hin.» Bei den Monsters ist diese Methode zum Symbol verdichtet, das kapitale M auf dem Backdrop – steht ganz sicher auch für Monomassaker, 110 DB minimum und man muss ob der neuen PA da oben nur lachen, wie sie da hängt mit ihren PKZ-Bananenlautsprechern und hochgezüchteten Subwoofern, als hätte man SUVs unters Dach genagelt. Wir sind Monomaschinen, wir brauchen den Mittelstrahl, wie gesagt; mitten in die Fresse und das ist alles, alles andere ist Dekadenz. «Das isch Punk vo Breitsch», sagt der Reverend, ohne Monsters wäre alle Musik ein Versäumnis und ich dachte Amen. Wenn denn die DJs nach dem Konzert nicht nochmals die Gitarrenwände bemüht hätten, sondern dreckigen Hafenviertel-Bossa aus den Siebzigern, beispielsweise – dann wären alle glücklich nachhause gegangen und hätten gevögelt, selig – aber so ist es des Guten dann doch etwas zu viel und man hält sich halt am Bier – und das ist natürlich auch immerhin das.

Samstag, 13.11, 13 Year Cicada & UFO, ISC

Die lineare Zeit – ich weiss gar nicht, was alle haben – erscheint mir allmählich wie eine sehr gute Idee. Langsam macht alles zum ersten Mal überhaupt Sinn, Fokus, der kontinuierliche Konzertbesuchtakt führt zu einer Art klösterlichen Ruhe in der Oberstube. Die Unwuchten scheinen von Laufruhe abgelöst, also schnurrt alles samtig wie ein sauberer Reihensechser mit Zylinderzündfolge 1-5-3-6-2-4. Und 13 Year Cicada aus Berlin reihen sich darin ein wie ein zum Möbiusband verklebtes Daumenkino, obwohl ihre Metrik, von logarithmisch mäandernden Klümpchen durchsetzt, nicht auf das regelmässige (seelenlose) der Automaten zu rekurrieren scheint. Viel eher geben sie einen Puls vor. Vielleicht den Herzschlag jener, die sie konzipieren können. Die Zukunftsmaschinen, denen kein Maschinensturm drohte, weil endlich klar würde, dass auf immer wir Menschen an den Hebeln sitzen. 13 Year Cicada – eine Vehemenz an Synth, Drum und Bassgitarre. Und den drei Seelen hockt eine derart simultane Genauigkeit auf, ein konzentriertes Eintreten zur Sprengung von Monaden (?), dass im Hirnabdruck des Rezipienten handkehrum ganz banal und intuitiv einfach Hoffnung keimt (!). Dann hebt der Konzertraum im ISC ab, nur gerade daumenhoch, eine schiere Masse schwebt. Darunter biegen sich Grashalme. Sind wir alle Teppiche? Ständig vibrierende Zelltücher, ineinander verfaltete Leinwände und mit der Welt? Die Verbindung steht, Ausserhalb – ein nichtiger Begriff. Hinter dem Fenster der Raumschiffbrücke brennt ein schmales Licht: UFO, mit Zooey Agro und Martin Schenker. Ein Brummen und Flackern, das uns zu verreisen heisst. Über allen Ichs liegt der Sternenstaubstrand.