Abends um sieben, es dämmert bereits und ich habe soeben die erste Zigarette an diesem Tag geraucht, weil ich krank im Bett liege. In Buenos Aires ist plötzlich wieder Winter, dabei hat doch bereits zweimal der Sommer versprochen einzubrechen und eigentlich sollte ich jetzt sowieso irgendwo in der Hitze sein, in einem Kaff in der Nähe von Cordoba oder was weiss ich, wo es mich so hin verschlagen hätte. Aber in einem miefigen Hostelbett oder einem grosszügig klimatisierten Fernbus hat mich die Erkältung erwischt.
Sowieso war die versuchte Reise eher ein Desaster als eine unbeschwerte Bewusstseinserweiterung im Sinne von sinnbefreiten Pinterest-Sprüchen, wie sie sich white privileged traveler Typen gern mal aufs Schulterblatt tätowieren. «Travel far enough, you meet yourself.» Jedenfalls war alles ausgebucht in Cordoba, weil da in der Nähe das Oktoberfest gefeiert wird, in einem Städtchen, das einst von der Besatzung eines gestrandeten deutschen U-Bootes gegründet wurde. Und weiter nördlich in Rosario war auch alles ausgebucht, weil schon wieder irgendein verlängertes Wochenende war. Also wieder zurück in die Grossstadt und in ein weniger miefiges und etwas privateres Bett als jene in diesen unerträglichen Backpacker-Hostels.
Zum Glück muss man ja nicht das Bett verlassen um die Welt zu sehen, also nutzte ich die Gelegenheit und schaute mir jene Orte an, die ich in dieser Stadt nie sehen werde, weil sie zu gefährlich sind: Die Villas Miserias. Google Street View hat doch tatsächlich jemanden zu Fuss mit diesem massiven Kamerarucksack quer durch die Armenviertel geschickt. Weil da die Menschen auf engstem Raum leben, ist ihr Wohnzimmer oft einfach die Strasse und also ist die Experience eine maximal voyeuristische, wenn man sich durch die engen Gassen klickt und manchmal nimmt das so eine gruselige Blair Witch Project Ästhetik an und dann liegen auch noch überall so verglitchte Hunde im Staub oder Gruppen von verglitchten Kindern mit zensierten Gesichtern, die in Richtung Google-Mann starren, als wäre er ein Alien.
Ich liege also im Bett in irgendeinem übertriebenen Kolonialhaus und schaue mir auf meinem Macbook diese verglitchten in Armut lebenden Kinder an wie die hinterletzte privilegierte, mitteleuropäische Katastrophentouristin und muss dafür nicht mal rausgehen. Danke Google. Moralische Erleichterung kann und will da nur ein Pinterest-Spruch auf dem Schulterblatt eines white privileged Travelers verschaffen: «When in doubt, travel.»