Hugos neue Festhalle

Im Newsfeed auf dem Telefon ein Zitat von Büne Huber: «Eine pulsierende Metropole wie Bern braucht meiner Meinung nach dringend eine anständige Festhalle.» Mich schüttelt der Husten, nervös stecke ich das Handy weg und rolle vor. Es ist 12:10 Uhr, Belpmoos, fünf Minuten Galgenfrist am Covid-Track.

Die Bluthunde stehen bereit, mit Latexhandschuhen und Schutzbrillen: Veranstalterinnen, Ultras, Kunstis und Studenten – man kennt sich. Ein Klassenzimmer überschirmt von müden Partypavillons. Ein gleichgültiger Kiesplatz, Abfall schwimmt auf Pfützen, wie Sonntag am Openair Frauenfeld. Oder zusammen am Fliessband, Richtung – keine Ahnung. Das mit den Wattestäbchen ist kein Problem, Tränen reinigen schliesslich das Herz, hat ein Russe mal geschrieben. Und so gratuliert mir ein sehr freundlicher Streetboy mit Handschuhen trotzdem zur Tapferkeit und freut sich darüber, dass an meinem Autoradio Haftbefehl läuft. Leben leben. Andere machen Pause und rauchen, angelehnt an Zaungittern – Lauchstangen, sicher keine Bluthunde. – heilige Maria der Schlachthöfe – eher der Kompost einer stillstehenden Kulturindustrie. Ich denk an die Rote Zora und ihre Bande, «Kommunismus ist Aristokratie für alle», hat Zora del Buono mal gesagt.

Nach dem Stäbchen lese ich den Artikel in der Zeitung fertig, von wegen neuer Festhalle – ganz hoch oben im Himmel sitzt ein blauer Stecknadelkopf. Oder ist es ein Heliumballon, oder Dreck auf meiner Windschutzscheibe? Es ist 12:31 Uhr, als ich wegfahre, Bünes Startbahn zu meiner Linken. Der Windsack zeigt Flaute an. Hie und da steht ein Traktor, Männer in Flanellhemden hacken Holz hinter einem Schuppen; da wo im Sommer immerhin Sportflugzeuge lauern, grasen Ziegen. Die Stimmung mahnt an die BEA.

Einige Stunden später drehe ich eine Runde an der frischen Luft, um die Grosse Allmend, beseelt vom negativen Testbescheid. Ich lande vor der alten Halle 4. Ich weiss nicht, was der Büne hat – ein Prachtbau. Und wenn hier im Umkreis von 250 Kilometern irgendetwas an eine Metropole erinnert, dann dieser sarghafte Riesenhangar in Tempelhof-Schick. Als hätte ihn Graf Zeppelin höchstpersönlich verbrochen, eine bauchgelandete Hindenburg, die sich das Fliegen abgestreift hat, dafür nicht ausgebrannt ist. Demütig – das ist dann doch die Raison d’être Bernois*e schlechthin.

«Die ist denn grusig, he? Gut, kommt da bald was Neues», raunt mir einer zu, der mir zugesehen hatte, wie ich die Hindenburg fotografierte, und eine schlauchartige Kreatur spazieren führt oder viel eher tragen muss, weil das Häufchen Elend kaum noch gehen kann. «Warum?», frage ich den Mann, «Denk, keine anständige Karavelle segelt ohne Galionsfigur, eine Festhalle ist für die moderne Stadt, was einst die Kathedrale.» Oha, Achtung, ein Poet, denke ich – aber unter feindlicher Flagge zu vermuten, sonst hätte er sich wohl Meuterer gezeichnet, anheim unserer Schule, schliesslich steht da schon ein Piratenschiff im Zentrum.

So taste ich ab: «Aber dass als private Investoren unter anderem Visana und Mobiliar hier dick ihre Nettorendite mit unsere Prämien als Kapital steigern und obendrauf Steuergelder zocken wollen, für eine Halle die sowieso ihren Zweck niemals wird erfüllen können, weil es The Clash nicht mehr gibt, und – »
«Guck dir meinen Hugo an.» Er zeigt auf den mittlerweile eingerollten Schlauch am Boden, «dem Hugo gestatte ich jeden Tag vom Feinsten Leckerlis, obwohl er schon Haferflockenbrei kaum mehr halten kann und mir immer die Wohnung verdreckt. Dann putz ich das auf, mit weissen Leinenlumpen und versprüh danach das Chanel N°5 meiner verstorbenen Frau.»
«Darf ich fragen, sind Sie Katholik?»
«Wenn die Idee die Kirche verlässt, kann es da überhaupt erst heilig werden.» Er zieht den Hut und schlingert davon.

Ich denke an Grunwalski, die Toilettenszene bei «La Haine». Und sonst steht der Kopf leer, als käme man nicht vom Strand weg, obwohl die Sonne schon viel zu lange brennt. Ich muss heim. Beim Wankdorf ist immer genau 20:16 Uhr. Ich schaue mir die müden Zeiger an und frage mich, ob man vor Gericht statt zu schweigen oder auszusagen nicht besser ein Lied anstimmen sollte. Ob wir den Bonzen diese Festhalle nicht einfach gönnen sollten. Den Bourgeoisen – aber dem Büne Huber nicht.