Insta/nofilter: Das Ideal des Kaputten

Ein paar verseichte Matratzen stehen an der Wand im Hinterhof beim Bollwerk, als wären es Exponate für eine Ausstellung, Studiengang Bachelor Fine Arts, HKB, Abschluss: «desillusion elusion» – oder sowas. Weiter oben kleben Sterne von Farbbeuteln an der Fassade der U-Haft, der Himmel gleicht einer geronnenen Lache Ayran auf dem Trottoir und es riecht nach Kampfer. Jessica Jurassica und Frau Schneeberger lehnen an einem Geländer und schmauchen, neben ihnen ein Verleger mit Hornbrille und dem treuherzigen Blick einer Haselmaus. Freitagabend, Soso-Artspace, Vernissage zum Buch: Das Ideal des Kaputten.

Jessica in weisser Baumwollmaske, Pailletten und Trainingsjacke aus Katzengold, Frau Schneeberger hat Schatten unter den Augen aufgetragen und Lippenstift; es ist würgend warm im Soso, wie an einem Kellerfest. Und trotzdem unterbesucht. Alle hatten alle erwartet, jetzt bleiben Stühle leer. «Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat und in seiner Familie.»

Die Haselmaus liest zum Auftakt, leicht verschreckt, aus dem Verlagstext zum Buch: «… das Bild einer reflektierten, feministischen und feinfühligen Erzählerin auf der Suche nach ihrer Rolle, ihrem Platz und nach Liebe …». Frau Schneeberger geht daraufhin über zu einer Analyse der Kritiken am Werk aus Zeitung und Rundfunk. Literaturexpertin Sieglinde Geisel taxierte «Das Ideal des Kaputten» im ersten Schweizer Radio zur Primetime als «konventionell», «harmlos», «billig» und «nicht subtil». Die WOZ hat sich an Jurassicas Desillusionierung gestossen, partielle Nutzniesserin, als Agente Provocatrice des Medien- und Literaturbetriebs; ist das wirklich Punk? Andere noch bedienten sich rostigster Instrumente, intentionale Ansätze: Ist das Schreiben dieser jungen Frau Therapie? (Und darum weniger – ja – weniger was denn?)

Frau Schneeberger stellt diese Erwartungshaltungen aus und lässt sie dabei wie Flatulenzen stehen in diesem windtoten Raum, trotzdem, dass da eine Lüftung schnurrt. Lässt den Zuhörer*innen Zeit zum selber Weiterdenken, während sie einen Joint dreht. In einer Hirnwindung falten sich mir Seiten der Popkritik auf.

Vom gesellschaftlichen Zentrum der Kritik her wünscht man sich die Aussenränder der Kultursphäre dornig, zur Kontrastierung des eigenen sterilen Daseins, der Feuilleton-Fetisch an Haftbefehls Kanakendeutsch zum Beispiel: ein Ausdruck davon, dass man sich zur Unterhaltung gerne besudeln lässt, vom Fremden oder Naiven, dem Authentischen (die neue Sprache der Generation?) – Hauptsache möglichst ausserhalb des Arrivierten, Zivilisierten, an dessen Bitterstoffen man selber zu vergiften droht, im Wissen um die Omnipräsenz der Heuchelei. Und das Naive kontrolliert man dann mit Beachtung, indem man es hätschelt und bespricht, beschreibt, bis hin zu Sade, der er es bespuckt. «Traumprinzessin und Prügelknabe – es ist für die bürgerliche Ratio der gleiche Mensch.», oder so ähnlich – Adorno.

Mir ist schlecht, alles, Körpergeisteinheit im Klagelied, der Zwang alles in Grund und Boden erklären zu müssen, nur um knapp über Wasser bleiben zu können, dass hier nur knapp fünfzehn Menschen sitzen und trotzdem ist es eng und gerade darum offenbaren sich Distanzen, klaffende Wunden, der Rücken zieht von der Lohnarbeit und dem Rausch und das Herz wird schwer und Jessica liest.

«Die Faschowohnung war ganz nett, aber mit den denkbar hässlichsten Ikea-Möbeln ausgestattet und so sass mein Vater in einem Ikea-Sessel vor einer Ikea-Tapete und lass in ‹Die Ästhetik des Widerstands›.» Frau Schneeberger rezitiert diesen Satz um eine Ausführung zu untermauern: «‹Das Ideal des Kaputten› erzeugt sprachliche Kraft aus dem Hervorbringen seiner (oder einer, ich weiss es nicht mehr genau) poetischen Unvereinbarkeit.» Das sitzt und reisst meinem inneren Schwärmer im Taumelflug zur Laterne den letzten Rest der gepuderten Flügel. Später ergänzt Schneeberger maliziös, «das ist Hexenwerk».

Tatsächlich ist die Vernissage einzig dem Offenlegen einer Zauberformel gewidmet – durch eingestandene Enttäuschung, ob dem mageren Aufmarsch im Publikum beispielsweise, dem Dehnen situativer Unsicherheiten während der Performance. Gleichzeitig bleibt das Festhalten an einer latenten Süffisanz, dem Schalk, der Anmassung und Ironie. Vorgetragene Zerrissenheit: Formel Ideal des Kaputten – als Möglichkeit der Selbstermächtigung trotz Desillusion im Säurebad aller Abhängigkeitsverhältnisse. Desillusion unterwandert, durch zelebrierte Desillusion. Bei Risiken und Nebenwirkungen leben sie weiter.

Die Haselmaus beschliesst die Sache, nicht ohne Stolz, mit der Anekdote, dass man der Weltwoche zur Rezension kein Gratisexemplar habe zukommen lassen. Und etwas später grämt sich draussen jemand, bis anhin niemals den Schneid gehabt zu haben, abzuhauen, einfach weg von hier.

Das Buch «Das Ideal des Kaputten» gibt es zu bestellen bei lectorbooks oder zu stehlen in den grossen Buchhandlungen. Und auch Frau Schneeberger hat ein Buch geschrieben, das KSB berichtete.