Wir sind da fürs Licht, Janosch der Fotograf und ich. Die Kilbi, aus dem Zentrum gedrängt, ade Schützenmatte. Heuer gastiert sie auf dem Kehrplatz bei der Grossen Allmend – dem Teerlumpen hinter der alten Bernexpo, Halle 4. Es riecht nach Hockey da, die Zugfahrzeuge der Schausteller heissen Grand Cherokee oder Land Cruiser und weiter hinten dunkelt Bern schon als Emmental.
«Ich zahle fünf Schuss», sagt Janosch. Einer im Faserpelz reicht mir das Gewehr. «Du weisst wie.» «Nein», wehre ich ab, «immer den Kolben auf den Tresen stützen beim Nachladen, Lauf in die Luft.» Seine Stimme trägt die Schwere von mit Diesel vollgesogenen Naturschwämmen und (oder) die Lakonie eines Fischers. Dann schiesse ich fünf gelbe Sterne von der Wand, cinque stelle – restlos weggeballert.
«Du solltest Biathlon machen», sagt Janosch. Oder doch Kommunist werden, denke ich.
Vis-à-vis der Putschautos pfeift der «Alpenexpress» tatsächlich nach der Stalinorgel, oder sollte man sagen: donnert? Eine solche Ungeheuerlichkeit auf Schienen ward jedenfalls selten gesehen (und dann ist es noch nicht einmal eine Geisterbahn). Als hätte sich Jim Knopfs und Lukas’ Liliputanerlokomotive aus dem Lummerland, gottverreckt genug, mit dem Monster von scheissdreckbraunen, antiken Kleiderschrank gepaart, der bei den Grosseltern das uns verbotene Schlafzimmer bewachte. Und als ob der daraus resultierende Wurf dann an den Gestaden des innerschweizerischen Hades zur Unterwelt gebracht worden wäre. Eine traumatisierende Achterbahn, irgendwo zwischen Souvenirkitsch und Exotismus und mit grausamer Geräuschkulisse. Immerhin beschleunigt er rund, der Alpenexpress.
Man sollte Lunaparks mit Warnhinweisen versehen. Am ledernen Boxhoden prügeln sich Buben um die höchste Punktzahl die Ellenbogen wund. Aber wir sind ja sowieso wegen des Lichts da.
So ein Rummelplatz ist eigentlich eine Ruine, eher ist er ein Rudiment. Überbleibsel, verkalkte Attraktion, einst dem Alltag für die da fehlenden Effekte Ersatz, ist er jetzt gerade noch, was uns der knöchern verkümmerte Schwanzfortsatz. Der Ausrufer der 75 Stahltonnen Loopingschleuder «Max-Ximum 2», die ausgestreckt mindestens von der Höhe des schiefen Turms von Pisa ist, feuert aus dem Kassenhäuschen seinen einzigen blonden Fahrgast an: «Ah, ganz schöne Frau, wie gefällt dir mein Max?»
Man sollte die Schweiz mit Warnhinweisen versehen. Am Wagen in der hintersten Ecke verkauft Cruella de Vil Churros an daunenverpackte Teenager. Aber sowieso sind wir ja für das Licht da.
So eine Kilbi ist auch von pornografischer Qualität. Dieses stumpfe Auf und Ab und Hin und Her der Schaukeln – die Schreie als Akt der Performanz. Nicht nur die Schau wird gestellt hier, sondern auch das Dabeisein. Die Fahrgeschäfte mit ihren Lampen und Gerüsten, den Kulissen, lächerlich gefällig wie das geschlagene Rad des Pfauenvogels – die Moldau von Bedřich Smetana. Darum hat uns das.
Schauderhaft – die dunkelsten Ecken der Ratio sind Schiessbudengrau.
Janosch sagt: «Ich träume in Rot, Grün und Blau.»
Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäb’s kein Morgen (dabei gibt es natürlich immer eins).
Exklusives Bildmaterial von Janosch Abel. Lunapark bei der grossen Allmend ist noch bis und mit diesen Sonntag 22:00 Uhr.