Insta/nofilter: Forever Dolphin Love

Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäb’s kein Morgen (dabei gibt es natürlich immer eins).

Die zweite Reihe ist die verdächtigste, meint Urs. Wir setzen uns in die zweite Reihe. Vor dem Theaterbesuch macht sich bei den meisten Menschen Angst breit: Furcht vor Interaktion als Raub an der persönlichen Freiheit. Die Stimmung ist angeschlagen, wir haben nichts zu verlieren und lösen eine Flasche Yello-Weisswein auf den leeren Magen aus.

Das Kollektiv Unplush spielt uns «Flipper» als Dernière. Mit viel bösem Witz wird das Schicksal der Delfindame Kathy erzählt, die sich in den Armen ihres Dompteurs aus dem Leben stiehlt. «I forgot to take another breath.» In den bedrückenden Choreografien verschwimmt die epistemische Trennlinie zwischen Mensch und Tier – ein disruptives Stück über Macht und Emanzipation, das in seiner antropomorphen Kühnheit dem Humor die Türen öffnet. Bis einem das Stakkato des scheinbaren Delfinlachens im Hals verklumpt. Die Befürchtungen übergriffiger Teilhabe am Stück werden schliesslich nur gekitzelt: Die aufgerufenen Theaterbesucher*innen finden in aufgestelzten Delfinköpfen ihre Entsprechung auf der Bühne. Und niemand wird von den Sitzen gezerrt, derweil sich Autorin Marion Zurbach am verschreckten Publikum erfreut. Die Köpfe wackeln lustig und Urs glaubt, im Stück eine «im besten Sinn elitäre Revolution» erkannt zu haben oder so, seine Argumente verlieren sich im intellektuellen Dimmlicht meiner zerstreuten Weissweinbirne. Nach der Aufführung an der Bar, aus den Boxen: Büne Huber träufelt seine Wohlfühlpoesie über die W.Nuss. Wie zwei bockstössige Himbeer-Buben flüchten wir aus dem Theatersaal, taubentänzig.

Zwischenverpflegung in der Redaktion. Mitternacht: Versuch von Spaghetti aglio e olio. Spätestens jetzt ist uns beiden klar, dass wir nur uns selbst küssen werden heute Nacht. Ich hab das Charisma von einem alten Zwieback und Urs zeichnen die Zweifel tiefe Falten auf die Stirn. Al dente sind höchstens die Teigwaren. Klingel geht. Ein offenherziger Gast bringt eine schwere Geschichte an den Küchentisch. Jetzt hilft nur noch die Zerstreuung, wir müssen raus. Wonach suchen wir?

Im Dachstock ist Wellenbad der Bassfrequenzen, wir werfen uns hinein. Sicaria Sound aus London stehen auf dem Holzboden und lösen die Theorieknoten. Der hellste Moment in dieser Nacht. Dann glaubt man alles: Dass Musik Menschen wirklich verbinden kann, dass wir alle eins sind und Energien und so Scheiss. Dass Rave nicht einfach die individualistische Konsum-Enthemmung ist und so Scheiss. Shoutout Zunami vorne an der Tanzbodenkante. Und Suze minérale ist neu das beste Getränk der Welt. Ein DJ-Set lang schwimmen wir. Wir schwimmen im von der dunkelschönsten Bassmusik aufgepeitschten Goldwasser. Urs hat sich ein Tuch um die Stirn gelegt und sieht sehr glücklich aus.

Stranden. Bollwerk Beach. Vor dem Kapitel macht sich die Kälte breit, D. zerrt uns rein. Ein anderer Viervierteltakt. Die feisten Ellbogen von stiernackigen Typen weisen den Weg, ab durch die Hintertür. Backstage: Bestechungsversuche, aber an der Bar fliesst kein Enzianwasser. Heiko trägt das beste T-Hemd der Welt. Ein an die sympathische Chemiefirma Bayer angelegtes Design sagt «never sleep». Ich verstehe den Ansatz. Jemand gibt mir Drogen, jemand erzählt Gerüchte, jemand grüsst mich, jemand rempelt mich an, jemand wundert sich über meine zitternden Augen, jemand fragt mit zitternder Stimme nach Zigaretten, jemand fingert mit zitternden Händen einen Filter hervor. Und jemand flüstert mir ins Ohr: «Wach auf, wir gehen.» Zum Glück ist es um sieben noch dunkel. Auf dem menschenleeren Weihnachtsmarkt gebe ich Urs einen Zungenkuss zum Abschied. Dann knipsen wir uns aus.