Die Flasche zerbirst, als er sie zuerst an einen an der Wand angelehnten Fellladen schlägt und dann an seinen Kopf, tausend winzige Teilchen gibt das und einen runden roten Fleck auf der Stirn. Da zieht er sich die Kappe drüber beim Weiterspielen. War das Absicht?
Johannes Dullin macht es einem nicht angenehm. Er gibt unverständliche Laute von sich, zieht seinen Pullover langsam über Mikrophon und Kabel, reibt daran, lässt es am Boden schleifen, lässt es auf den Boden fallen, dass der Raum kurz vor einem Knall verschrickt. Nach zwanzig Minuten kann er doch noch eine verständliche Sprache, er fragt: Haben Sie den Zettel unten gesehen? Haben Sie ihn gesehen, sagen Sie. Was steht da drauf. Haben Sie den Zettel unten gesehen?
Dann ist fertig. Dullin sei sehr lustig oder auch einfach albern, dachte ich mir, so hatte ich mir das aus Erzählungen vorgestellt. Aber Dullin ist vor allem auch sperrig und unbehaglich. Umso besser. In einem von einer Baustelle ummantelten Haus an der Schwarztorstrasse sitzen wir auf roten Kissen und schauen seiner kalt kalkulierten Überdrehung zu.
Die Dampfzentrale bespielt das Haus für einen Abend, Künstler und Künstlerinnen verschiedener Sparten die Räume: ein Abend zuhause, aber nicht bei dir. Evelinn Trouble ist da, am Nachmittag hat sie an der Demo «Evakuieren jetzt» gespielt und sie schreibt später in die sozialen Medien: Danke Bern für diesen realen Abend. Unter dem Dach sitzt Simon Hari und stickt Klassiker der Kunstgeschichte aus dem Gedächtnis, Albrecht Dürers Feldhasen in wacklig zum Beispiel. Vom Eingang her spült Miko San ein Set in den Raum und die Treppe hoch. Da gibt es auch Suppe und einer ruft durch den Vorgarten, Suppe, habt ihr das gesehen, das ist absolut fantastisch, ich kanns nicht glauben. Suppe! Schnaps gibt es keinen. Es ist eine unaufgeregte Stimmung, das Publikum schaut und hört aufmerksam. Pinkelt um die Ecke im Toitoi, es ist ganz verruckt sauber.
Nach Mitternacht ist der Vorplatz voll. Beim Eingang zum Dachstock ein Genusch, es ist ausverkauft und die Leute stehen immer am falschen Ort an. So schwer ist das eigentlich nicht: zuerst zahlen, dann coviden, dann stempeln, dann hinauf, aber wir sind schon betrunken. Oben ist City Trance, wir bestellen Shots und Bier. Alle, die schon länger hier sind, sagen, es fühle sich überhaupt nicht wie Bern an und meinen: Das ist gut.
Mental guideline for the disconnected human – fuck the old world. So steht das im Pressetext, das sehe ich später. Cos hat kuratiert und gespielt, wir haben sie schon verpasst, als wir ankommen. Jetzt schwebt sie zufrieden durch den Raum. In der Mitte ist ein Molton aufgezogen und dahinter, vor der Bühne, ist es dunkel, nur die DJ ist angeleuchtet. Trägt einen engen Ganzkörperanzug in blauorange und Blumen, spielt konzentriert, noch mehr Blumen rundherum: Wutangu aus Brüssel. Man erschrickt ein wenig, als sie einmal lacht in die Richtung eines Bekannten, aber schön sieht es trotzdem aus. Ganz junge Menschen werfen sich davor aneinander, ziehen glücklich an ihren Industriezigaretten und knutschen, als wäre Maturfeier.
In dieser Menge steht irgendwann Dæmon vor dem DJ-Pult, Dæmon aus Oakland, der in Zürich festsitzt, das ist unser Glück. Man kann sich schon vorstellen, man wäre irgendwo in einer Grossstadt, in irgendeinem Keller oder Warehouse, draussen in der Industrie und hier im Dunkeln, als diese Erscheinung mehr schreit als rappt und die Leute um sie herumspringen, man kann sich das vorstellen. Ob das Bern ist oder nicht, es ist egal. Vielleicht ist es auch einfach eine andere Zeit: Fuck the new world. An einem Samstagabend durch die Stadt fallen, als wäre nichts.
Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäb’s kein Morgen (dabei gibt es natürlich immer eins).
Alle Bilder: Cos