Donnerstagabend im Progr, es ist mal wieder grosser Vernissagenabend und ich mag ja eigentlich keine Vernissagen, aber immerhin gibt es gratis Alkohol und Snacks. Andererseits will man ja auch Spass haben beim Trinken und nicht erst drei Gläser Weisswein runterkippen müssen, bis man sich einigermassen entspannt hat. Ich geh trotzdem hin. Im Showroom feiert die Boyband CHIC Videopremiere ihres dritten Musikvideos und als erstes bekomme ich den Drink zur Band in Shot-Format in die Hand gedrückt: Château Chic, Isostar mit Vodka. «Ist es Pop? Es sieht zwar haargenau so aus, aber eigentlich haben David Bregenzer, Samuel Rauber und Jonas Weber Kunst im Sinn.», schrieb der Bund zur Boyband CHIC und das ist natürlich Blödsinn, diese Trennung der Künste.
Ich schau mir das Video im Showroom an, der Ton ist schlecht, von draussen dröhnt das Vernissagengeplänkel rein, aber das Video ist gut. Dann schau ich mir die anderen Räume an, langweilige Hochglanzfotografien in der Galerie Bischoff, auf die ich mich gar nicht so recht einlassen mag. In der Galerie 3000 ist «Dein Verein» zu Gast und jemand schneidet mir eine Haarsträhne vom Kopf weg, eine bastelt aus der Strähne eine Halskette, die ich einem umhängen muss, der in einer Ecke sitzt und um dessen Hals ein Bündel Haare hängt. Der hängt mir wiederum einen Fetzen Jeansstoff um den Hals und schickt mich zu einer vierten Person, die mir einen selbstgebackenen Glückskeks gibt: «Verlange mehr und erwarte weniger.» Etwas verwirrt wechsle ich rüber in die Stadtgalerie, langweile mich schon wieder und frage mich, ob das das Problem dieser Ausstellung, oder ob das für mich einfach zu sehr Kunst und zu wenig Pop ist. Während ich mich durch die Ausstellung kämpfe, schäme mich für mein asoziales Kunstunverständnis und bevor ich ganz in Zynismus abdrifte, der dann doch nur im Selbsthass münden täte, hole ich mir noch ein Bier und mache mich auf den Weg Richtung Bollwerk, raus aus dem White Cube, rein in die Problemzone und durch den Schneesturm.
Im Kino der Reitschule läuft im Rahmen des Filmfestivals Schamlos! ein Kurzfilmblock. Verschiedene queere pornographische Filme, viele Vulven, viel lesbischer Sex. Das Kino ist voll, die Stimmung angenehm, es wird viel gelacht während der Filme, nicht zuletzt, weil auch in den Filmen viel gelacht wird. Die dargestellte Sexualität ist eine angenehm verspielte. Nach der Vorführung gäbe es noch ein Gespräch und eine Performance, aber es zieht mich nachhause, zum Rest Kartoffelauflauf von gestern und der halben Flasche Pastis. Man kann ja auch später nochmals raus, nach dem Kartoffelauflauf und nach ein, zwei Gläsern Pastis. Aber nach dem Kartoffelauflauf, nach ein, zwei Gläsern Pastis und nach einer Haschzigarette (wann habe ich eigentlich wieder angefangen zu kiffen?), mag man dann doch nicht wirklich nochmals rausgehen in die Kälte und irgendwie ist es doch schon wieder weit nach Mitternacht. Dann bleibt man halt zuhause und dann bleibt noch das leichte High, der Kampf mit dem WordPress, ein Rest Pastis am Küchentisch und die Frage, ob es Pop ist oder Kunst.
Das Musikvideo der Boyband CHIC zum Song «Merci» gibt es auch online. Das Schamlos! läuft bis am Samstag im Kino der Reitschule, im Frauenraum und in der Grossen Halle. Und der Vernissagenmarathon im Progr findet immer wieder mal statt.
Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäb’s kein Morgen (dabei gibt es natürlich immer eins).