Das Wichtigste in Kürze
Die Aare hat in Bern am Freitagmittag mit 560 Kubikmeter pro Sekunde die höchste Gefahrenstufe erreicht. Seither geht die Abflussmenge leicht zurück
Der Rekordwasserstand des Bielersees aus dem Jahr 2007 wurde am Freitagabend übertroffen. Der Pegel des ebenfalls übervollen Thunersees lag am Freitag 40 Zentimeter über der Hochwassergrenze.
«Das ist für alle, die es heiss und feuchtig mögen», sagt Béatrice Graf am Sonntagabend, Reitschule, Innenhof. Ester Poly spielen und das ist jetzt wirklich die letzte Station an diesem Wochenende, es hat endlich aufgehört zu regnen. Ein blauer Abend. Graf am Schlagzeug stöhnt, Martina Berther am Bass lächelt und nach einer halben Stunde haben sie auch das Publikum bei sich, das bisher eher verhalten blieb; auch bei Trash Mantra zuvor, obwohl Dany Digler geheult hat wie ein Wolf und seine blonden Haare schwang und den weissgewandeten Hintern.
«Wet, wet, wet, wet» rufen Ester Poly und meinen damit eigentlich gar nicht diese letzte Woche oder die davor. Es ist das Wochenende nach dem grossen Wasser, die Zeitungen schreiben «Sintflut!», Jörg Kachelmann behält die Hoffnung nur, um überleben zu können, wir machen Katastrophentourismus. Sonntagnachmittag, Ipsach, Bielersee, irgendwer hatte die Idee, grillieren zu gehen. Stattdessen sitzen wir nun auf der Terrasse der Bootshafenbeiz, die heute nicht mehr geflutet ist, und essen gratis Glace. Zwei Tage war der Strom ausgefallen, die Bedienung empfiehlt Cornet oder Magnum, alles andere könne man vergessen. Danach waten wir durch den Wald und auf die Liegewiese. Keine Tigermücken, keine Amöben, keine Alligatoren, nur Schnecken, die sich zu Dutzenden die Bäume hochgerettet haben und nun knapp über der Wasseroberfläche an den Stämmen kleben.
«Ich kann tanzen und es riecht nach Bratwurst», sagt Heiko glücklich und schwitzend nach einem kurzen Abstecher zum Schiffenensee, der ebenfalls über die Ufer getreten ist. Dafür ist der Weg runter jetzt kürzer. Samstagnachmittag, Bad Bonn, Düdingen, Noria Lilt tauft ihre EP «The Insiders of the In-Between». Es ist besser gesagt eine Release-Party mit vier DJ-Sets und sehr vielen jungen, bleichen, gut angezogenen Leuten aus Fribourg, wo Noria Lilts Label, Strecke Records, daheim ist. Zurück in die Neunziger, nur dass hier sehr viel mehr fotografiert wird. Die Menge wogt zufrieden, und MSJY, die gleich nach Noria Lilt spielt, zerrupft Britney Spears› «Toxic» so schamlos, man weiss gar nicht, wie sich dazu bewegen. Das ist grossartig und wohl hat noch nie eine diesen Song so genau verstanden wie sie. Urs liest ein Buch, wir essen Wurst, pendeln zwischen Bar und Tisch, wir betrinken uns fröhlich. In Bern schauen wir von der Lorrainebrücke aus der überbordenden Aare zu, wie sie sich die Fusswege zu eigen macht. Dann Platzregen.
Im letzten tosenden Regen dieses Abends fahre ich quer durch die Stadt und entscheide, dass das jetzt einfach egal sein muss. Später scheint hinter der Bühne am Gurtenfuss ein schüchterner Regenbogen hervor. Heitere Fahne, Gugus Gurte, Freitagabend. Oder: so etwas wie ein Gugus, ein Guguseli, wie die Einheimischen hier sagen. Die Leute streichen sich über die Gesichter und wundern sich, wie das ist, ohne Maske, sogar auf der Toilette ohne Maske und vorne im Gedränge, wo früh am Abend Cyril Cyril spielen; auch da das Publikum eher verhalten, oder besser: beschäftigt mit sich selbst und der neuen Freiheit. Es ist für viele das erste Mal wieder draussen, an einem Konzert, im Ausgang. Ein bisschen Normalität (oder «Normalität») und trotzdem fehlt dem Anlass die grosse Festivalschwester dreihundert Meter weiter oben, die ihn wirklich normal machte, die eine Möglichkeit zur Abgrenzung liefern würde und die nötige Dosis an Aufgekratztheit, hochwollen, untenbleiben und so weiter. Aber es ist schon gut: Im Haus drinnen riecht es später bei Radio Sur le Pont und Melisa Su nach Atem und Alkohol und Schweiss, vor der Tür stehen sie Schlange. Um zwei Uhr ist fertig, wir tauschen Alka-Seltzer gegen Bier. Dann spülen sie uns raus in den Nebel.
Insta/nofilter: unverdaute, betrunkene, nachtwache Kultureindrücke. Rausgeschossen als gäb’s kein Morgen (dabei gibt es natürlich immer eins).