Hochnebel macht alle Tage egal. Milchglas, Deckel drauf. Die weisse Luft liebäugelt zum Fenster hinein, es bleibt warm und stickig: Sie haben die Heizung repariert. Der Abzug ist kaputt, der Nachbar singt den ganzen Tag Arien. Er war beim Stadttheater angestellt, bis sie ihn entlassen haben, vor einer Woche war das, es stand in der Zeitung und es schienen mir Vorgänge, die ich nicht durchschauen kann. Ich habe ihn nur kurz gesehen im Treppenhaus, ist vorbeigehastet, aber was soll man da schon sagen. In der Zeitung stand auch von Millionen getöteten Nerzen, die sich, in einem Massengrab verbuddelt, durch die massiven Verwesungsgase wieder gegen die Oberfläche bewegen, gar den Boden aufgebrochen haben und herausquellen, in Dänemark ist das. Man spreche dort, verständlicherweise, von nichts anderem mehr.
Vielleicht schaffen wirs über den Nebel, sage ich zu Urs, als die Liftkammer immer höher steigt, Bethlehem, Kasparstrasse, vierzehn Stöcke hoch ins F-Geschoss, neben einer Frau mit Hund im Korb, dicht an die Brust gedrückt. Sie erklärt uns geduldig, wo wir aussteigen müssen – wir verlaufen uns trotzdem. Die Grenze holen wir nicht, man sieht überhaupt gar nichts mehr. Wir gehen einen Futon abholen, ich hatte den alten nicht retten können vor meiner früheren WG, die mir auf Nachfrage schreiben: «Dann wurde er für ein Sofa zerschnitten.» Alles klar.
Den neuen fahren wir heim. Urs sieht das Food-Mobil gegenüber dem Hauseingang, auf dem ein riesenhafter roter Hahn türmt, Schweizerkreuze auf den Schenkeln. Zweimal die Woche ist in Bethlehem Güggeli-Tag, dann fährt der rote Hahn einige Strassen hinüber zur Kirche. Die Güggel drehen im Ofen vor sich hin, glühen orange hinter der Scheibe in den Tag hinein. Hilft auch nicht viel. Am anderen Ende der Strasse packt eine Grossfamilie verschiedene Töpfe, Geschirr, in Plastikfolie Eingewickeltes in einen Wagen, es wird doch wohl irgendwo ein Fest geben. Wir rauchen, an solchen Tagen könnte man endlos, die Stadt wird nicht mehr oder weniger grau davon.
Allein in der Wohnung lege ich mich aufs Sofa, als es klingelt und erst zwei, dann drei exakt gleichaussehende Männer – klein und rund und kurzgeschoren, dunkelblaue Jeans und Windjacke, braune Lederschuhe – zur Tür reinkommen. Immobilien, klar, «wir sind zum Vermessen da.» Ist was los im Plattenbau, das Treppenhaus haben sie schon weiss gestrichen und alle Türen grau. Die Männer drängen sich zwischen Abzug und Ablage, ein Telefon klingelt, «ja, wir sind oben, nein, ganz zuoberst, kommt ihr auch?» Weitere Mannlein erscheinen, zwei, dann ein Nachzügler, meint zu meinem Mitbewohner: «Keine Angst, ich bin jetzt wirklich der letzte.» Sonst gibt es nicht viel zu sagen, nur ein wenig zu vermessen, einer klopft an die Wand und sagt: «Die ist wahrscheinlich schon tragend, oder?», die anderen brummen irgendwas vor sich hin. Als sie gegangen sind, sagt der Mitbewohner: «Ich habe mein Gras versteckt, nicht dass das dann weg ist. Solchen Leuten kannst du nicht trauen.»
In der Küche ist der Spuk vorbei, die leeren Milchflaschen häufen sich schon bis zum Fenster. Im Kalender, der fast jeden Tag nur Scheisse sagt, steht heute: «Robbie, weisst du, was wir tun, wenn die Posaune zum letzten Gericht erschallt? Dann tun wir so, als hätten wir nichts gehört.» Hat Oscar Wilde angeblich zu seinem Geliebten Robert Ross gesagt, kurz vor seinem Tod, als er schon lange in einen anderen verliebt war. Der Robert hat dann seinen Nachlass doch verwaltet, so ein treuer Freund, ist sich das Internet einig und der Wilde: ein Flittchen. Aber man muss ja nicht so tun, als ob das nicht ginge – sich gern haben, wenn da noch andere sind. Das Grab von Wilde auf dem Cimetière du Père Lachaise in Paris war vor lauter roten Kussmündern schon fast nicht mehr grau, bis sie es zum 111. Todestag renoviert und in einen Glaskasten gesetzt haben. Seither herrscht striktes Kussverbot.
Einige Dinge braucht man bis zum Schluss, das wissen die Genovesi besser. In der engen Via del Campo, wo selten ein Spickel Sonne einfällt, deren Huren und Tagelöhner Fabrizio de André besungen hatte – Faber, wie sie da sagen, der an Lungenkrebs starb – zu seinen Ehren steht hier ein kleiner Altar, eingeklemmt zwischen Bars und Internetcafés: Die Leute legen ihm Zigaretten hin, manche mit Gruss und Name beschriftet. Man muss doch eben zu rauchen haben. Aus Diamanten wächst nichts, aus Dreck Blumen, das hat er gemeint, der alte Romantiker. Was soll man da schon sagen.