Kein Zahnrad

Eine Erfolgsgeschichte versinkt in bürokratischem Unsinn und Machtspielen. Und nicht nur die Berner Clubszene fragt sich: Was ist mit Rave It Safe eigentlich los? Die unglückliche Geschichte eines widerständigen Aufklärungs-Projekts und seinen Perspektiven – eine Recherche von Jessica Jurassica und Mirko Schwab.

Wir treffen Niklaus Hostettler und Hannes Hergarten, zwei zentrale Figuren in dieser Geschichte. Hergarten hat das Projekt Rave It Safe skizziert und aufgebaut. Hostettler hat es in den Jahren vor dem definitven Eklat geleitet und mitgeprägt. Zwei wichtige Köpfe, zwei ganz verschiedene Charaktere. Hostettler spricht ruhig und in ausgewählten Worten, Hergarten hingegen gleicht einem Vulkan, aus dem leidenschaftliche Anekdoten schiessen, sich überschlagen, in Gedankenstrichen enden. Beide haben als Angestellte der Stiftung Contact, unter deren Dach Rave It Safe seit 2010 aufgestellt ist, intensive Umstrukturierungen miterlebt. Hört man den beiden zu, wird man den Eindruck nicht los, dass die betreffenden Prozesse manchmal komplett planlos, manchmal intransparent abgewickelt worden sind. «Das Contact hat in den vergangenen zwei Jahren ausschliesslich Entscheidungen getroffen, die das Angebot Rave It Safe aus fachlicher Sicht torpediert haben», sagt Hostettler. «Rave it Safe ist in seinen Ursprüngen aus der Partykultur entstanden, mittlerweile ist es der Szene aber fremd geworden.»

Wer sich mit der Geschichte der Stiftung Contact und seinen Schadensbegrenzungs-Angeboten für das Nachtleben auseinandersetzt, kommt um einen Namen kaum herum: Jakob Huber. Er hat die Organisation während dreissig Jahren geprägt, unter anderem als Geschäftsleiter. Selbst Kollegen, die sich mit ihm in beruflichen Streitigkeiten verfingen, loben seine visionären Ideen auf dem politisch vergifteten Gebiet der Suchthilfe. Um zu verstehen, was es mit Hubers Pioniergeist und dieser Nähe zur Szene auf sich hat, müssen wir zurück nach Roggwil bei Langenthal. «Das kennt ihr wohl gar nicht mehr, oder?»  sagt Hergarten, der damals selbst noch zu den Jungen gehörte, die in der tiefsten Provinz mit der Technokultur in Berührung kamen.

Ein Projekt mit Substanz

Zwischen drei Wäldern liegt Roggwil BE. Ein Oberaargauer Dorf mit Gast- und Bauernhöfen und brachliegender Industrie. In den Hallen auf dem ausgedienten Gugelmann-Areal im Norden der Gemeinde versammeln sich Mitte der Neunzigerjahre zehntausende junge Menschen, angereist aus der ganzen Schweiz. In den Hallen steigen Megaraves, wie die grossformatigen Tanznächte in der aufgeputschten Lingo der Neunziger hiessen. Roggwil wird zum helvetischen Prototyp des globalen Massenphänomens Rave. Und dessen Ritualen: Speed und Ecstasy halten die Tanzenden auf Trab, intensivieren die Erfahrungen, ermöglichen oder verlängern den Rausch. Doch so leicht man damals an die verheissungsvollen Pillen und Pulver kommt, so ahnungslos sind viele der jungen Raver*innen was Wirkweisen und Risiken angeht.

Das ruft Jakob Huber auf den Plan. Bald bietet Contact in Zusammenarbeit mit dem Kantonsapothekeramt erste mobile Drogentests an. Erstmals können Substanzen gleich vor Ort auf ihre Inhaltsstoffe untersucht, Daten gesammelt und Konsument*innen sensibilisiert werden. Ein methodisch überzeugender Dreiklang, der politische Türen öffnet. Der Schweiz kommt hier eine Pionierrolle zu. Die Analysemethode in Kombination mit dem Beratungsangebot wird salonfähig, obwohl die Befürchtungen der Enthemmung im Umgang mit illegalen Substanzen nie ganz verstummen, der politische Gegenwind nie ganz abflaut. Die Idee ist gut, das Projekt nimmt Fahrt auf: Im Jahr 1998 wird unter dem Projektnamen «Pilot Ecstasy» ein zweijähriger Testbetrieb mit kantonaler Finanzierung realisiert. 600 Beratungen und 162 Substanzanaylsen – die Berner Gesundheitsdirektion wertet den Versuch als Erfolg: Zu Beginn des neuen Jahrtausends wird ein weiterer Projektkredit gesprochen.

In der Folge wird das Projekt noch besser abgestützt: Für niederschwellige Forschungs- und Aufklärungsarbeit im Feld gründet sich der Verein Aware Dance Culture (ADC). Die Szenenähe ist dabei zentral. ADC besteht aus Menschen mit Erfahrung im Nachtleben, aus Raver*innen, Gelegenheitskonsument*innen und Nachtschattengewächsen. «Einige hatten selbst ihre Erfahrungen, andere auch Probleme im Umgang mit Drogen und Partymachen», weiss Hannes Hergarten. Er ist 2006 zum Verein gestossen. Der Verein wächst in den folgenden Jahren von einer sympathischen Selbsthilfe zur breit aufgestellten Interessensgruppe heran – auch dank dem Beitritt von Fachpersonen aus Psychologie, Psychiatrie und Sozialarbeit. Die möglichst direkte Verbindung in die Szene aber bleibt wichtig.

Niederschwellig- und Glaubwürdigkeit gehören früh zum Erfolgsrezept der Berner Nightlife-Aktivist*innen. Informationen und Sensibilisierung können unter Gleichgesinnten weitergegeben und szenenah vermittelt werden – auch von Menschen, die vielleicht selbst schon wegen Substanzen in Schräglage geraten sind.

Hergarten prägt den Verein in den Folgejahren und schafft eine Schnittstelle zwischen Contact-Netz und der im Verein ADC aktiven Szene. Es ist die Geburtsstunde von Rave It Safe. Das Projekt soll institutionelle Rahmung und Felderfahrung zusammenführen. Dieser Plan verhilft dem Quereinsteiger Hergarten zu einer Anstellung bei der Stiftung Contact, schliesslich wird Rave It Safe 2010 als eigenständiges Angebot mit einer vorerst gesicherten Finanzierung in die Dienstleistungen des Contact-Netz integriert. Zusätzlich eröffnet das stationäre Beratungs- und Testangebot dib+. Konsument*innen können hier ihre Substanzen testen lassen und bei Schwierigkeiten anonym Beratung, psychologische oder ärztlich-psychiatrische Betreuung in Anspruch nehmen. Unter der mit Andrea Suter gemeinsam bestrittenen Leitung entwickelt sich Rave It Safe zu jener beliebten Anlaufstelle, als die es im Berner Nachtleben für die nächsten Jahre agieren wird. Laut, bunt, spielerisch – ganz in der Sprache der lokalen Technowelt. In enger Zusammenarbeit mit freiwilligen Helfer*innen aus der Szene gelingt der Spagat, Informationsauftrag und Schadensminderung anzubieten, ohne in der vibrierenden Partyumgebung als Fremdkörper aufzufallen.

Gute Neuigkeiten

Jakob Huber tritt 2016 ab, es sind Jahre des Umbruchs für Contact. Es kommt zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen, die in den folgenden Jahren verschiedene Bereiche der Stiftung durchschütteln. Die Organisation wird zentralisiert und bekommt eine neue, verbindliche Corporate Identity verpasst, verschiedene Angebote fusionieren oder werden unter die Leitung in Bern versetzt. Das Eigenleben, das Rave It Safe in den Anfangsjahren in den Strukturen der Stiftung entwickelt hat, gerät durch die neue Hierarchie unter bürokratischen Druck.

Es geht um Strukturen – und auch um Geld. Die einschneidenden internen Veränderungen fallen in eine Zeit, in der das Berner Sozialwesen unter wiederholten Kürzungen zu leiden hat. 2014 spart der Kanton eine Million im ambulanten Beratungsbereich ein. Die von Regierungsrat Schnegg verordneten weiteren Kürzungen verschlechtern die Lage zusätzlich. Trotzdem entscheidet sich die Stiftung hoffnungsvoll für die Weiterführung des Nightlife-Angebots, trotz der  Finanzierungsbaisse. Andere Angebote werfen Gewinn ab, hauptsächlich dank «Subjektfinanzierung», d.h. die Abwälzung der Kosten auf die Klienten und ihre Krankenkassen. Das Projekt Rave It Safe kann querfinanziert werden.

Trotzdem brodelt es im Monbijou, hinter der Fassade des hübschen Wohnhauses, in dem der Stiftungs-Hauptsitz beheimatet ist. Es kommt zu einer Kaskade von Kündigungen: Hergarten scheidet aus den Contact-Strukturen, sein Abgang wird ihm nach verschiedenen Unstimmigkeiten und gegenseitiger Unzufriedenheit 2016 von der Leitung mindestens nahegelegt. Er löst das Anstellungsverhältnis zeitgleich mit Andrea Suter auf, mit der er das Projekt bis dahin getragen hat. Hostettler, seit 2014 bei Rave It Safe angestellt, reicht seine Kündigung vier Jahre später ein. Dies, nachdem seine Bewerbung auf die ausgeschriebene neue Teamleitung ohne ernsthafte Prüfung abgelehnt wird. Auch Hostettler geht nicht allein: Mit ihm kündigen weiter die anderen zwei Angestellten des bisherigen Teams. Die Partner Aware Dance Culture und der überregional tätige Verein Safer Dance Swiss entscheiden sich zu einer vorzeitigen Kündigung ihrer Mandatsverträge, deren Verlängerung innerhalb der neuen Conctact-Strukturen sowieso nicht mehr geplant gewesen wäre. Es ist ein Kahlschlag: Im Herbst 2018 steht Rave It Safe ohne Team und Netzwerk da. Hostettler wird während der Querelen mit juristischen Konsequenzen gedroht, sollte er seine zum Teil persönlichen, über die Jahre hinweg aufgebauten Kontakte ins Nachtleben nicht der Stiftung zur Verfügung stellen. Auf dem Facebook-Kanal von Rave It Safe, der ein wichtiges Instrument zur Kommunikation mit den Klient*innen ist, steht über die personellen Wechsel kein Wort zu lesen. Die unglückliche Kommunikation der Stiftung ist für Hostettler nicht nur missverständlich, sondern ein fachliches Problem:

«Bei einem Projekt wie Rave It Safe ist das Vertrauen der Klienten und Klientinnen zentral. Einen Wechsel des gesamten Teams nicht transparent mitzuteilen, nicht anzukündigen, das ist für mich ein komplett unverständliches Vorgehen.»

Hostettler habe aus diesem Grund darum gebeten, dies auf der Facebook-Seite kommunizieren zu dürfen. Seine Vorgesetzten winkten ab. Und verboten ihm darüberhinaus, seine Kündigung und deren Gründe auf anderen Kanälen öffentlich zu machen.

Zu den kollektiven Kündigungen findet man seitens Contact lediglich eine knappe, auf der Stiftungswebsite veröffentlichte Notiz. Sie trägt den Titel «Gute Neuigkeiten zu Rave It Safe und dib+». Darin steht: «Neuer Leiter von Rave It Safe und dib+ ist Peter Menzi, der langjährige Erfahrung im Bereich Nightlife hat. (…) Er wird die Angebote mit einem neuen Team in die Zukunft führen.»

Die Zukunft ist kurz. Mit Peter Menzi glaubte die Führung eine ideale Nachfolge gefunden zu haben, einen der Pioniere des Felds, der bereits in den Neunzigerjahren eng mit Jakob Huber und den Vorgängerprojekten von Rave It Safe verbunden war. Nach wenigen Monaten ist die Leitung des Angebots aber erneut ausgeschrieben. Warum? Menzi möchte dazu auf telefonische Anfrage nicht Stellung nehmen.

Wer an der Kasse sitzt

Wir treffen Rahel Gall in ihrem Büro an der Monbijoustrasse und fragen, was die Stiftung mit dem Angebot Rave It Safe also in Zukunft vor hat. «Contact versteht sich als Kompetenzzentrum im Bereich der Schadensminderung. Deshalb ist es ganz klar unsere Aufgabe, auch in diesem Feld aktiv zu sein.» Als Geschäftsleiterin der Stiftung hat Gall die Anliegen des Stiftungsrates zu vertreten. Als wir bei ihr nach der Geschichte des kurzen Auftritts von Teamleiter Peter Menzi fragen, droht die Stimmung zu verspannen. Die um Freundlichkeit bemühte Geschäftsleiterin reagiert plötzlich aufbrausend und bestätigt lediglich, dass die Stelle des Teamleiters zurzeit vakant sei.

Gall macht das kantonale Sparpaket für den momentanen Umbruch im Angebot Rave It Safe verantwortlich. «Es hat personelle Wechsel gegeben, nun braucht es Zeit für eine Neuorganisation und Neupositionierung.» Der Fokus gilt momentan offenbar dem stationären Beratungs- und Substanzentest-Angebot dib+ an der Speichergasse, der weiterhin betrieben wird. Die Feldarbeit in den Clubs und auf Festivals aber ist weitgehend zum Stillstand gekommen.

Bei Contact nennt man das in bestem Corporate-Identity-Jargon von Verschlankung, und Effizienzsteigerung  – bei Hannes Hergarten stösst diese Sprache auf blankes Unverständnis. Er frage sich, weshalb ein Unternehmen wie Contact nicht fähig sei, progressive Lösungen zu erkennen, obwohl ein Produkt in der Konsequenz günstig und erfolgreich sei. Und also gut funktioniere. Er gibt die Antwort gleich selbst:

«Der grösste Graus des Unternehmens ist die Leidenschaft. Die Leidenschaft deckt sich nicht mit der Vorstellung hierarchischer Strukturen.»

Ob die Finanzierungsunsicherheiten der wirkliche Grund waren für die Überwerfungen um Rave It Safe, ist allerdings fraglich. Der Betrieb mit symbolisch entlöhnten Freiwilligen, die über den Verein ADC die Arbeit im Feld grösstenteils geleistet hatten – er war günstig und effizient. Die Gespräche mit Hostettler und Hergarten einerseits und mit Gall andererseits lassen den Schluss plausibel erscheinen, dass es hier vielmehr um Machtmentalitäten ging. Sprich um den Grad an operativer Autonomie und Szene-Verankerung, die das Projekt zwar fachlich bestechend, aber in der Betriebslogik einer zunehmend hierarchisch aufgestellten Stiftung schwer führbar machten – und schliesslich zu strukturellen Problemen führten.

Darunter leidet die Szene. Wer im Berner Techno-Umfeld unterwegs ist, an den Raves und in den Clubs, der kennt die Gesichter hinter der Geschichte von Rave It Safe und weiss um deren Erfahrung und Leidenschaft. Es ist eine Leidenschaft, die über die Jahre zum Nährboden für eine breite Expertise wurde. Hergarten behauptet, dass sich an einer Hand abzählen lasse, wer in der Deutschschweiz einen brauchbaren Workshop zu Partydrogen halten könne. So oder so: Hostettler und Heergarten sind zwei davon. Die beiden sind schweizweit und international vernetzt, fahren an Kongresse nach Berlin und Brüssel. Sie sind gefragte Fachpersonen.

Solche fehlen Rave It Safe im Zustand 2019 gänzlich. Rahel Gall meint, dass Contact mit dem Angebot keinen Monopol-Anspruch habe. Es sei durchaus vorstellbar, dass parallel Angebote weiterexistieren. Das neue Contact-Team steht indessen im Abseits. Aufgrund mangelnder Ressourcen ist fraglich, wie sich die Arbeit im Feld, auf den Festivals und in den Clubs weiterhin realisieren lässt. Es fehlt am Personal, das die Peer-To-Peer-Arbeit der letzten Jahre weiterführen könnte. Eine delikate Arbeit, die viel fachliches Fingerspitzengefühl erfordert, doch zuallererst das Vertrauen von Clubs und Partygänger*innen. Im einzigen fast vollständig auf Techno fokussierten Lokal der Stadt, dem Kapitel am Bollwerk, will man von Rave It Safe nichts mehr wissen. Und auch der Dachstock der Reitschule zieht es in Zukunft vor, die Suchtmittelprävention mit anderen Partnern in sein Programm einzubinden. Die Clubs lehnen eine Zusammenarbeit mit dem neuen Team ab, manche aus Zweifel an den Kompetenzen, andere aus Solidarität mit dem alten Team, das viel Vertrauen und Sympathie genoss in einer Szene, die es engagiert mitgestaltet hat.

Laut Hostettler habe die Stiftung nie verstanden, dass Hergarten, Suter und er selbst mehr als ein Zahnrad in der Betriebslogik gewesen seien, dass Expertenwissen und Vernetzung nicht so einfach zu ersetzen seien. Die Geschäftsleitung habe ihm damals zu verstehen gegeben, dass es auch in der Migros keine Rolle spiele, wer an der Kasse sitze, erzählt Hostettler. Diese Arroganz rächt sich nun.

Für Hergarten und Hostettler steht ausser Frage, dass sie ihrer Leidenschaft und der Idee einer positiven und nachhaltigen Party- und Nightlifekultur auch ohne Leistungsvertrag mit einer Stiftung nachgehen wollen. Mit dem Verein Aware Dance Culture und in Zusammenarbeit mit Safer Dance Swiss wollen sie die aktive Arbeit und Präsenz im lokalen Nachtleben weiterführen. Auf der ADC-Webseite sind eine Reihe von ehrenamtlichen Einsätzen in Clubs angekündigt. Der Verein wolle sich weiterhin für eine pragmatische Aufklärung im Nachtleben einsetzen und dabei personelle wie auch ideelle Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung stellen.

Es wird politische und finanzielle Unterstützung brauchen, sollen diese Bestrebungen mit einem langen Atem gesegnet sein. Eines lässt sich schon mal konstatieren: Über mehrere Etagen durchhierarchisierte Unternehmens-Strukturen, wie sie die Soziale Arbeit zunehmend prägen, bedeuten letztlich den Tod mutiger und agiler Projekte. Und das heisst eben jener Projekte, die im realen Nachtleben wirklich Wirkung hätten.