Eigentlich wollte ich mir das ganze Wochenende Kultur reinballern, aber nichts wollte klappen. Nur die Lohnarbeit, die ging, Freitagnacht, Samstagnacht und zur Morgendämmerung jeweils nüchtern ins Bett, im Kopf dröhnte es trotzdem, trotz Nüchternheit oder gerade deswegen: Weil sich die Nüchternheit nicht gut mit dem Nightlife verträgt. Anstatt mir Kultur reinzuballern, das ganze Wochenende, habe ich also die Nächte auf Lohnarbeit verbracht, mitverantwortlich dafür, dass sich alle anderen gesittet Kultur oder sonst was reinballern können.
Am Samstag wollte ich endlich mal an die Klimademo, aber ich schaffte es erst spät Nachmittags aus der Wohnung raus und ich hatte immer noch etwas von dem Dröhnen im Kopf. Die Klima-Demo war nicht da, wo ich sie vermutet hatte, in der Altstadt oder beim Helvetiaplatz, ich hätte wohl nur einen Blick in die Twitter-App werfen müssen und hätte sie gefunden, diese Klima-Demo mit der Jugend, auf die sich soviel Hoffnung projizieren lässt und eine bunte, laute Demonstrationskultur pflegt und die wortgewandt und selbstbewusst und pragmatisch ist. Aber die einzige Demo, die ich fand, war der Jesus-Aufmarsch auf dem Bundesplatz, einer betete ins Mikrophon, der Platz mit Plastikbändern und Sicherheitspersonal eingerahmt, eine wohlgeordnete Tanzchoreographie zu irgendeinem Praise-The-Lord-Pop-Song und die Arme gegen Bundeshauskuppel, Amen.
Und wie ich so an der Ecke «Entrecôte Café Fédérale» stand und schaute, kam ein Schwarm Segway-Touristen die Amthausgasse hoch und schauten sich kurz Jesus-Demo, Bundeshaus und Entrecôte an. Sie trugen zur Sicherheit Leuchtwesten: Gilets Jaune. Ich ging nachhause und verpasste auch das angedachte Kulturprogramm am frühen Abend, Lesung im Schlachthaus oder Theater in der Zoobar, ich hatte zulange aus dem Fenster runter auf die Strasse und in das Fenster rein ins Internet gestarrt und dann war es auch schon wieder Abend und ich musste wieder los wegen der Lohnarbeit hinterm Tresen.
Seit ich hinter dem Tresen stehe, schaut das kulturelle nächtliche Leben dieser Stadt irgendwie ganz anders aus. Es ist ernüchternd das Geld über den Tresen wandern zu sehen: Das kulturelle Leben ein einziges Fest des Konsums. Und es ist auch plötzlich ganz befremdend, wie viel Zeit Menschen mit saufen verbringen können und wie gesoffen wird als wärs eine Nebensächlichkeit, aber von hinter der Bar schaut es aus, als wärs die Hauptsache, der Mittelpunkt jeder kulturellen Aktivität. Der Seitenwechsel hat mich von der Rausch- und Partykultur entfremdet und ein bisschen hat mich der Seitenwechsel und die Entfremdung auch gerettet, vor dem eigenen ausufernden Abfuck aber dafür verpasse ich manchmal Sachen. Manchmal verpasse ich an Samstagen die Ladenöffnungszeiten, weil mich die nächtliche Lohnarbeit bis spät Nachmittags ins Bett drückt.
Am Sonntag wollte ich mir dann noch eine Vorstellung des «Tscharni Blues II» Marathons im Rex reinziehen, aber die 16 Uhr Vorstellung war ausverkauft und die um 18 Uhr auch und also dachte ich, man könnte doch noch jene um Mitternacht besuchen und prügelte Homeboy und Homegirl auf die Strasse raus um mich zu begleiten. Aber ich hatte den Plan falsch gelesen, da stand 00:00 und das wäre Samstagnacht gewesen und nicht Sonntag und so standen wir vor dem geschlossenen Kino. Jänu, dachten wir und waren insgeheim froh, nicht doch noch Kultur ballern zu müssen. Wir spazierten die Altstadt runter und setzten uns noch für zweidrei Bier ins Fumoir der Junkere, wo es etwas kühl war und nur einzwei Einsame sassen an der Bar und still war es auch. Niemand hatte Kleingeld in die Juke-Box reingeworfen. Wir füllten die kalte Luft mit dem Rauch der Selbstgedrehten und mit frei assoziierten Gesprächen über soziokulturelle Zusammenhänge oder sonst so ein Intellekto-Scheiss und am Schluss ging es dann doch wieder um die Drogen, um den Rausch, den Rave, die Nightlife-Kultur.
Später kletterten wir die Altstadt wieder hoch Richtung Nachhause, durch die schweigenden Passagen und an den Schaufenstern vorbei. Ich blieb stehen vor Franz Carl Weber und studierte den sorgfältig ausgestellten Pferdebauernhof aus Plastik. Könnte ja auch Kunst sein oder immerhin Spielkultur. Aber ist halt doch nur Kapitalismus im Schaufenster, Plastik der niemand braucht und den alle kaufen. Marketing auf Augenhöhe für Kleinkinder. Und heilig, der Akt des Konsumierens. Amen.