König der Seifenblase

Orientalische Teppiche hängen über den Brüstungen einiger Balkone – ihr Matt glänzt in der Abendsonne. Aus einer Wohnung im obersten Stockwerk des Blocks tönt ein Fernseher. Von weiter unten singen Kinder Lieder in Türkisch oder so. Und auf dem Parkplatz – der mit seinen Banden wie ein Spielfeld und etwas erhöht im Zentrum der Siedlung liegt – stehen rostige Toyotas, verbeulte Opel Zafiras und abgerissene Renault Mégane Scénics.

Ich steh da mit meinem Velo, oberhalb von Kehrsatz – im Tannacker. Diese Blöcke, die hier wie Duplo im Kinderzimmer an den Waldrand hingewürfelt sind und da verblasst über dem Dorf thronen. Vor drei Jahren erst starben hier zwei kleine Brüder an einem Stromschlag, weil in ihrer Wohnung der FI-Schalter fehlte – vernachlässigter Unterhalt der Liegenschaft durch die Immobilien AG. Seltsam, dass man von hier aus auf ein Quartier mit Villen hinunterschaut. Sonst steht so eine Siedlung meist abseits. Wie faule Flügel.

Und gegenüber, einen halben Kilometer Meter Luftlinie entfernt, steht ein anderer Hügel. Von mittelständischen Eigenheimen hundertfach verschanzt. Wie der Brückenkopf einer fernen Zeit – als Papa bei der Telecom war, und Maman arbeitete für den Pferdesportverband. Dahinter zieht sich das Köniz-Gurtentäli nach Bern. Mit seinen Bauernhöfen und Feldern, Rossställen und Familien auf Tagesausflügen.

Auf dem Weg nach hier oben habe ich die Schweiz durchquert. Seltsam, dass man von hier aus so einfach auf das ganze Land hinunterschaut – wie bei einer Modelleisenbahn. Sonst steht dem doch immer mindestens ein Berg im Weg.

Als würde man im Innern des Tunnels das ganze Bergvolumen sehen.
Als würde man eine Lunge nach aussen kehren.

Geschrumpftes Universum – das könnte auch eine Schaumdecke sein. Auf der Wiese unterhalb dem Tannacker steht eine Badewanne, damit die Kühe daraus Wasser saufen können. Man könnte darin auch Schaum schlagen, mit ihrer Milch, unzählbar viele kleine Bläschen, jedes davon eine Galaxie.

Mir wird so seltsam, auf den Lenker gestützt, als würde sich dieser nach vorne hin wegbiegen in ein bodenloses Schwarz. Ich muss das Rollen abbremsen und die Füsse auf den Asphalt setzen. Vor mir liegt die Hauptstrasse, das Postauto donnert vorbei Richtung Zimmerwald.

Nahe der Bushaltestelle, am Eingang der Siedlung, sitzen zwei Jungs auf einem Pingpongtisch. Sie rauchen Joints und pusten dazu Seifenblasen. Wenn die Seifenblasen platzen, in der Abendsonne, gibt das liegende Rauchringe, in der Luft, wie kleine Kränze – Kronen sind das, die nach oben hin verschwinden. «Schau wie ich wegrauche Bruder, hihi, schau, ich bin King Bruder, König!», er hustet trocken und lacht nochmal. Sein Bruder guckt ganz lieb und sagt zufrieden: «Bruder, sicher bist du King, du bist König der Seifenblase!»