Humor muss nicht lustig sein, sagt Sabo Meta. Zusammen mit Linda Gunst und Jonas Beer organisiert er das Berner Filmfestival Kino Kosova, das ab heute in seiner zweiten Ausgabe den Kosovo fokussiert – «eine gute Gelegenheit, um an erzählte Geschichten und Imaginationen aus dem kosovarischen Leben zu kommen.»
Wart ihr mal zusammen im Kosovo?
Sabo: Ich war im August dort, um meine Verwandten zu besuchen. Ausserdem lief in meiner Heimatstadt Prizren das jährliche internationale Dokumentarfilmfestival, also habe ich Linda und Jonas gleich eingepackt.
Linda: Und in Prizren ist mir das Verhältnis zwischen der Schweiz und dem Kosovo erst so richtig aufgegangen – manche Strassen waren voll von Autos mit Schweizer Nummernschildern, Autos von Leuten, die jeden Sommer aus der Schweiz in den Kosovo reisen, um ihre Familien zu besuchen, für Familienfeste und Hochzeiten und Begräbnisse und so weiter.
Jonas: Überhaupt die Dynamik – ich war fasziniert, wie jung dieses Land eigentlich ist und wie sich viele Strukturen noch im Aufbau befinden.
Und jetzt macht ihr dieses Filmfestival in Bern. An welches Publikum richtet sich Kino Kosova? An die kosovarische Diaspora?
Sabo: Weisst du, all die Autonummern, von denen Linda gesprochen hat – die Diaspora gehört im Kosovo auch nicht mehr richtig dazu. Die Leute gehen zwar runter für die Feste. Aber vom Alltag im Kosovo und seinen Themen bekommen sie nicht mehr genügend mit, um sich wirklich zugehörig zu fühlen. Natürlich soll unser Filmfestival auch für solche Biographien, für Leute wie mich, interessant sein. Ich bin in Prizren und Pristina aufgewachsen und lebe jetzt in Bern. Für mich ist Kino Kosova auch eine gute Gelegenheit, an erzählte Geschichten und Imaginationen aus dem kosovarischen Leben zu kommen.
Linda: Was ich auch gelernt habe: Von den Rückkehrer*innen wird erwartet, dass sie ihren Schweizer Reichtum zur Schau stellen – sie werden also schon als «Andere» wahrgenommen.
Sabo: Dazu haben wir einen schönen Kurzfilm im Programm: «In Between» erzählt davon, wie der kosovarische Vater seinen Söhnen, die inzwischen in aller Welt leben, fünf identische Häuser baut – da wird dieses Bedürfnis nach Gleichheit und Heimatverbundenheit, aber eben auch Nicht-Zugehörigkeit, symbolisch gemacht: mit diesen exakt gleichen Häusern, die dann doch nur ein paar Tage im Jahr bewohnt sind.
Und das Berner Publikum ohne Migrationserfahrung?
Sabo: Gibt es das überhaupt? Die allermeisten Leute, die hier in den Neunziger- und Nullerjahren aufgewachsen sind, sind mit Leuten aus dem Balkan gross geworden.
Der Fussballplatz ist ein klassisches Beispiel …
Sabo: Genau. Aber trotzdem kommen die Leute dann zu mir und möchten wissen, wie das damals war mit diesem Krieg.
Jonas: Es gab schon wenig geeignete Räume, um über solche Dinge zu sprechen. Auf dem Fussballplatz musst du ja Fussball spielen und gleichzeitig deine Pubertät austragen …
Sabo: Sie wissen zwar: Da war ein komplizierter Krieg und die Leute sind hochgekommen. Aber ich merke, dass die Leute in der Schweiz einen besseren Einblick in die Realitäten und die Geschichte des Kosovo erhalten wollen. Der Film ist dafür ein starkes Werkzeug.
Warum gerade der Film?
Sabo: Er macht soziale Themen sichtbar. Auch auf einer emotionalen Ebene, über das Geschichtenerzählen – im Film ist genug Platz für Reflexion, ohne direkt auf etwas zeigen zu müssen.
Linda: Ich liebe am Film, dass du hinterher nicht alles erklären musst.
Sabo: Ich mag den Gedanken, dass es auch ein soziales Happening ist. Dabei ist die Kunst eine gute Methode, um ins Reden zu kommen.
Die Konfrontation mit «schweren» Stoffen gehört ja schon ein bisschen zur stillen Erwartung der mitteleuropäischen Kulturbürgerin, die ein migrantisches Filmfestival besucht.
Sabo: Nimm zum Beispiel unseren Eröffnungsfilm «Réveil sur Mars» von Dea Gjinovci – da werden auf sehr eindringliche Weise die Zusammenhänge von restriktiver Migrationspolitik und psychischer Gesundheit verhandelt. Aber: In manchen Filmen gibt es auch Humor oder ein komisches Element. Im Schweizer Kurzfilm «Bashkimi United» zum Beispiel: Ein Film über einen in Luzern ansässigen Coiffeur mit kosovarischen Wurzeln – und grossen Träumen.
Wieso hilft der Humor? Könnte man nicht auch sagen: Fuck, es ist halt vieles scheisse, da muss man auch nicht um jeden Preis lustig sein …
Sabo: Nein – schau, für mich muss Humor nicht einmal lustig sein. Oder: lustig, aber nicht lustig – weisst du wie ich meine? Du lachst zwar, aber vielleicht merkst du im selben Moment, dass du auch über dich selber lachst. Dass du ein Teil der Komödie bist.
Linda: Und dann passieren immer kleine Sachen, im alltäglichen Leben, auch in der grössten Tragödie überhaupt – und der Film kann das mitnehmen, als Teil des Lebens, das halt oft auch irgendwie lustig ist. Oder komisch. Oder seltsam.
Sabo: Schwarzer Humor ist eine gute Strategie, um durchs Leben zu kommen. Das ist für mich schon sehr typisch kosovarischer Lebensstil.
Wo seht ihr Unterschiede zwischen dem Filmschaffen in der Schweiz und jenem im Kosovo?
Linda: Ganz ehrlich, einen Langfilm für 600‘000 Stutz Budget, das macht in der Schweiz eigentlich niemand.
Und im Kosovo ist das der Standard?
Jonas: Nein – 600‘000 ist das gesamte jährliche Produktionsvolumen für Filme aus dem Kosovo. Stell dir das mal vor. Und dann kommen solche Filme daher!
Linda: Auch inhaltlich sehe ich andere Zugänge, zum Beispiel andere Enden einer Erzählung.
Sabo: Aber gemeinsam ist allen Filmkulturen vielleicht die Idee von Fortschritt – die Zukunft, die zum Jetzt spricht und sagt: Let‘s get along with this. Das ist doch wunderschön!
Euer Festival soll ja auch ein Austausch sein. Ein klassischer Anspruch: Leute zusammenbringen, «netzwerken» – in der Realität steckt man dann Leute in einen Raum und dann passiert erst einmal gar nichts. Wie provoziert man Austausch?
Sabo: Erstmal kommen ja viele der Regisseur*innen hierher, präsentieren und diskutieren ihre Arbeiten. Das ist ein wichtiger Aspekt.
Jonas: Genau. Das klingt nach wenig, ist aber enorm viel: Die müssen zuerst auf die Botschaft, ein Visum beantragen, ihre Ausreise organisieren, auch das können wir uns hier kaum vorstellen. Wir versuchen, Austausch anzuregen, aber wir zwingen niemanden dazu. Das muss organisch passieren.
Sabo: Obs klappt, können wir dann nach dem Festival beurteilen. Ich bin froh, dass es im Rex eine Bar gibt und dass wir am Donnerstag ein Konzert veranstalten – man kann Bier trinken und sich austauschen. Leute reden ja gerne über alle möglichen Dinge, da muss man sich eigentlich keine Sorgen machen.
Linda: Und Austausch passiert schon nur, wenn Leute, die hier leben, Filme aus dem Kosovo schauen. Niemand geht aus dem Kino und diskutiert nicht über den Film, der gerade gezeigt wurde.
Wie geht ihr mit politisch streitbaren Inhalten um? Hattet ihr bei der Selektion einen solchen Fall?
Jonas: Der Typ vom Radio wollte das auch wissen, das hat ihn richtig beschäftigt.
Linda: Das ist ein typisch medial geprägtes Bild vom Balkan, nicht?
Sabo: Dabei ist es gar nicht so eine Sache. Wenn etwas sehr direkt auf eine Sache hinauswill, sind wir skeptisch. Wir versuchen ganz sicher, Propaganda zu vermeiden.
Aber es ist schon so: Je mehr man über die national-ethnischen Konflikte im Balkan weiss, desto weniger möchte man sich in die Nesseln setzen. Jemand kam zu mir und sagte: Ich habe eine Freundin aus Serbien, da muss ich schon aufpassen …
Sabo: Ich habe auch Freunde aus Serbien! Meine Güte. Und die kommen ans Festival! Aber um auf die politische Dimension zurückzukommen: Mir geht es vor allem darum, die Stimmen von marginalisierten Gruppen hörbar zu machen. Diese Filme werden ohne unser Zutun produziert, aber wir können sie zeigen oder nicht. Das ist unser Einfluss als Filmfestival, nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Kino Kosova im Rex: Ein multiperspektivischer Blick auf und aus dem Kosovo, Produktionen der Diaspora sowie Schweizer Beiträge in der kurzen und langen Form. Zeitgenössisch: dokumentarisch und fiktional. Start heute um 20 Uhr mit «Réveil sur Mars» in Anwesenheit der Regisseurin. Konzerte und DJ-Sets am Donnerstag ab 22 Uhr im ISC. Das gesamte Festivalprogramm gibt es hier.