Ok BAG, Kultur bleibt überschaubar, fürs erste. Nicht nur verkehrt.
Geschlossen/verboten bis 31. August 2020:
Öffentliche und private Veranstaltungen von 1000 oder mehr Personen
Ha! Privat! DJ Antoines kleine Geburtstagsparty, zum Beispiel? Anfang Juni dürfen immerhin Kinos und Theater wieder aufmachen, einen vernünftigen Saal mit 1000er-Kapazität hat Bern ja sowieso nicht, oder? Apropos Kapazität: Die Konzerthallen werden ja sowieso langsam ein wenig klein für die grossen Egos der Stars. Wie wärs mit einem 12-Millionen-Gig?
Ende April traf man sich ganz coronakonform zum Grossevent, auf Fortnite – da ist ja viel Platz. Travis Scott (Travis who?) brach mit links alle Livekonzert-Rekorde, quantitativ. Geschenkt. Immerhin, kleiner Gruss an manche Schweizer Festivals (wie den aktuell laufenden Literaturtagen) und ihre mitunter ein wenig verzweifelt anmutenden Live-Bemühungen. Da definiert sich das Festivalfeeling offenbar via Gedränge an der Abendkasse – oder weshalb sonst limitiert man den Zugang zu den Livestreams strikt, wo man doch digital endlich eine sehr offene Bühne hätte und so viel Publikum in den Saal lassen könnte wie hineinwill? Viel spannender, zurück zu Fortnite: Man konnte lesen, dass das auch qualitativ ein noch nie dagewesenes Konzerterlebnis gewesen sei, mit Visuals, die eher der Phantasie eines Gamedevelopers entsprungen waren als derjenigen eines (noch so avantgardistischen) Lichttechnikers. Und mit allerlei Extra-Effekten, die mit irdischer Physik sowieso nur noch näherungsweise zu tun hatten.
Aber ah, Physis. Ist sie nicht das Salz im Kulturkuchen, diese, wie es die SZ etwas unbeholfen aber vielleicht halt doch ganz treffend genannt hat: «Livehaftigkeit»?
So entbehrungsreich die Corona-Krise für Theaterfans ist – ihre schwer vermisste Kunst lebt nun mal von der Livehaftigkeit, dem gemeinsam geteilten Raum und Atem -, so einzigartig sind jetzt die Chancen, Verpasstes nachzuholen, Theaterwissen aufzufrischen, sich mit Theatergeschichte zu beschäftigen.
Klingt zwar ein wenig sehr nach Schule in meinen Ohren, aber gut, mit Theater kann man das machen, zumal die meisten grossen Bühnen mitmachen: Thalia-Theater, Schaubühne, Burgtheater, da kommt schon einiges an Theaterhistorie zusammen. Man kann ja noch kurz drüber nachdenken, warum das mit legendären Popkonzerten weit weniger gut funktionieren würde. Wer also noch nicht genug gestreamt hat: Das Berliner Ensemble zeigt diese Woche eine besondere Rarität, Bertolt Brechts Antikriegsstück «Mutter Courage und ihre Kinder»
in der legendären Modell-Inszenierung, die Brecht 1949 selber gemeinsam mit Erich Engel geschaffen hat. Eine Arbeit, die beispielhaft war für Brechts Konzeption von einem «epischen Theater». In der Titelrolle: Helene Weigel. Es handelt sich um eine Aufzeichnung des DDR-Fernsehens von 1957, die noch nie einer größeren Öffentlichkeit gezeigt wurde. Erdmut Wizisla, Leiter des Brecht-Archivs, nennt das «eine kleine Sensation». Es sei eine Version, bei der man unmittelbar erleben könne, «wie Brecht gearbeitet hat».
Bern hat da wohl keine vergleichbaren Juwelen im Archivschrank, also sendet das KTB stattdessen kleine Kulturhäppchen aus dem Homeoffice, Getanztes, Kammermusikalisches, Gelesenes, Gespieltes. Auch ganz schmackhaft, wenn sich auch Aufwand und Ertrag kaum die Waage halten. Die Aufrufe, die meist im Zweistelligen bleiben, zeigen deutlich genug, was das Publikum von digitaler Ersatzkunst hält.