One more time with feeling für Seattles berühmtesten Sender: Es ist der süsse Traum des globalen Musikuntergrunds. Los Orioles vom Südfuss des Jura sind die erst dritte Band aus der Schweiz, der diese Ehre zuteil wird. Ein Hoch auf sie (und die Wunderlichkeit ihrer Heimatstadt.)
Ils sont ouf, die Bieler – sie spinnen. Nirgends in der Schweiz sind verrückte Ideen so schnell salonfähig wie im Uhrenstädtchen mit seinen 50’000 verrückten Bewohner*innen. Nirgends in der Schweiz wird abgehangene Nonchallance so unverkrampft weltläufig. Und nur in Biel ist der beste Laden der Stadt das ehemalige Fumoir einer ganz normalen Hockeybar. Abgrenzung und Inklusion – das kann zu schöner Musik führen.
Und wenns nicht stimmt, ists zumindest eine gute Geschichte. Und jedenfalls die Geschichte dieser wunderlichen Orioles und ihres Chef-Spinners Dany Digler, holländischer Exilant, DIY-Priester, Labelmacher und Regent über den Salopard, diesen besten versautesten Laden der Stadt.
Weil der Laden eben oben in der zweiten Etage dieser ganz normalen Hockeybar situiert ist, spült es nicht selten wunderliche Menschen darein. Seelandjugend mit Schnupftabak zum Beispiel. Dazu folgende Lieblingsgeschichte: Ich sehe den fleischigen Typen, der gerade in die Bar stolpert und seine Tabakdose aus der weiten Hose fingert. Und frage ihn, ob er mir auch «einen Schnupf legen» könne. Für sich schon eine dumme Idee. Aber die Sache geht noch weiter. Klar, sagt also der Typ oder «jo vou» und macht ein braunes Tabakhäufchen auf meine rechte Hand, auf den Thenar-Muskel zwischen Daumen und Zeigefinger, so wie es sich gehört.
Ob er einen Schnupfspruch kenne, frage ich und der Typ lässt einen ziemlich ekligen, homophoben und dann noch schlechten Reim ab – wie es sich gehört. Wir schnaufen uns das Zeug rückwärts hoch. Und ich frage ihn, ob er das denn ernst meine mit den Schwulen und füge an, dass ich mit einem sehr netten Schwulen zusammenwohne in Bern und dass doch genau solche Leute dann leiden würden unter diesen dummen Sprüchen und überhaupt hätte ich auch schon Schwänze in den Mund genommen und das ganz gut gefunden …
Ich recht redselig, er erstaunt. Schon fasziniert, findets krass, schaut mich mit grossen Augen an und fragt: «Würdest du jetzt meinen Schwanz in die Hand nehmen?» Wir stehen zwischen DJ-Kanzel und Bar mitten auf der Tanzfläche, mitten in den Leuten. Ich entgegne «Nun ja, das würde dir ja wohl keine Freude machen und mir vielleicht auch nicht …» Aber der Typ lässt nicht locker und fände mich einen wirklich «geilen Siech», käme ich seinem unverhofften Wunsch jetzt nach – und lässt sich schon die Hose runter.
Und so greife ich nach seinem Pimmel und massiere ihn ein bisschen. Der Typ ist völlig aus dem Häuschen. Findet mich tatsächlich als «geilen Siech» ganz krass und meint, er wähle ja eigentlich SVP und ich sicher nicht, aber das sei jetzt ganz krass gewesen von mir und bedankt sich und geht.
So rasselte das einmal durch alle Diskurse zwischen mir und diesem Typen, zwischen dem Seeland und mir. Dort oben, in dieser Bar in der Bar, dem Salopard.
Das hat mit Biel dann eben mehr zu tun als man denkt. Inklusion und Abgrenzung. Esoterik und Weltoffenheit – und immer gleichzeitig. Aus diesem wunderlichen Torf sind die Orioles aufgestiegen und erobern nun die Welt, striefen durch die Weltmusiken und bedienen sich daran ohne intellektuelle Verstocktheit, ohne falsche akademische Scham, mit einer ganz und gar volkstümlichen Innigkeit. Kredibilität nennt sich das – und auch die bringen die Bieler scheinbar ohne Effort mit. Im Rahmen des Festivals Trans Musicales, das alljährlich im bretonischen Rennes stattfindet, haben sie dem amerikanischen Radiosender KEXP dieses Lied geschenkt. Ici c’est Bienne – à Rennes.
Die ganze Livesession gibt es hier. Für Sommer sind einige Festivaldaten angekündigt, vielleicht auch in Bern. Die betörende Platte «Zumbia Yéyé» ist letzten Sommer auf Sacred Hood / Rock This Town Records erschienen und läuft auf Dauerschlaufe.