Einige längst überfällige Fragen zur städtischen Kulturpolitik: Ein Gastbeitrag von Moritz Achermann.
Carl Spitzweg: Der Arme Poet.
Dass sich die Stadt Bern letzthin mal verrechnet hat und nun zu einer Sparrunde ansetzen muss, ist ja schon vor längerem publik geworden. Die Strategie, mit dem «Rasenmäher» – wie es der Verein bekult in seiner Medienmitteilung formuliert – in sämtlichen Direktionen zu kürzen, sorgt nun doch noch für einigen Unmut. Denn gespart werden soll auch im Hochamt der Kulturförderung. Also, auf in den Verteilkampf! Lässt sich bei den grösseren Institutionen trotz laufender Leistungsverträge noch etwas abzwacken, oder müssen die Etats der Kulturkommissionen für Produktionen in der freien Szene zum Aderlass? Auch die Perspektive auf massive Einsparungen im Bereich der sogenannten Laienkultur ist äusserst schmerzhaft.
Aber das vielleicht Stossendste an diesem ganzen Prozedere ist die Absenz einer kulturpolitischen Strategie. Es ist bereits jetzt absehbar, dass es im Tauziehen um die Kulturkohle nicht um Inhalte, sondern vielmehr um die diskursiven Dezibel-Werte der Interessengruppen gehen wird.
Ich würde daher vorschlagen, die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Am Beginn der hiesigen Corona-Pandemie wurde nahezu überall der Ruf laut: Jetzt muss alles neu gedacht, neu geordnet werden! Nehmen wir also diese Stimmen der jüngeren Vergangenheit beim Wort und stochern etwas in der offenen Wunde herum. Zum Debattenanstoss einige Thesen in suggestiver Frageform:
• Ist es sinnvoll, dass so viele Künstler*innen selbst in der reichen Schweiz in solch prekären Verhältnissen (vgl. Bild) leben und arbeiten? Sind unsere prekären Künstler*innenexistenzen nicht die Blaupause für die Verheerungen der Gig-Economy? Und schliessen wir nicht etliche Menschen vom professionellen Kulturschaffen aus, denen das gemütliche Polster eines bildungsbürgerlichen Hintergrundes fehlt?
• Sind die hierarchischen Strukturen grosser Kulturinstitutionen noch zeitgemäss? Wie viel darf der Intendant eines Stadttheaters verdienen? Und warum muss das per Naturgesetz ein deutscher Mann sein?
• Ist eine Kulturförderung, die um die Existenzsicherung von Künstler*innen bemüht ist, nicht eher Sozialhilfe denn Kultursubvention?
• Und überhaupt: Dürfen wir Kunstproduktion mit der Erniedrigung der Lohnarbeit zusammendenken?