Mal wieder an die Allmendstrasse

Gastautorin Sarah Wyss blättert sich durch 35 Jahre Mokka Thun.

Pädu Anliker hatte viele Kinder. Das berühmteste ist die Café Bar Mokka in Thun, das leibliche heisst Migu und hat sich angeschickt, die alten Programmhefte des Hauses zu digitalisieren. Im Onlinearchiv breiten sich nun nach und nach 35 Jahre Mokka aus. Über Jahre hinweg von Master of Ceremonies, Padre Anliker, mit Schere, Leim und Copy Quick gebastelt, erzählen sie Geschichten von lauen Sommernächten, geizigen Besuchenden, selbstausbeuterischen Kulturschaffenden in einer Stadt, die am liebsten Tarnfarbe auf dem Wappen hätte. Die das Jodler- und das Schwingfest mit offenen Armen empfing, dem Anliker aber jahrelang das Leben schwer machte. Die nicht recht wusste, wohin mit den Jungen und warum überhaupt. Das Mokka «hütete» der Stadt jahrelang mit gleichbleibenden Subventionen «einen Teil der (Problem?) Jugend», wie Anliker in einem Editorial bemerkte. 1998 kam ihm die rettende Idee, wie das mit der Kulturfinanzierung zu handhaben sein könnte:

Wenn die städtischen Politiker jedes Jahr Fr. 10’000 Subventionen streichen, müsst ihr also jedes Jahr mehr saufen! Ab 1999 sind das dann 2500 Flaschen Bier, die ihr mehr trinken müsst, im Jubeljahr 2000 schon 5000 Flaschen.

Rechnen tat er gerne und viel in seinen legendären Editorials, er mutete den Lesenden zu, was alles hinter einem Konzertabend steckte und wieviel ein solcher das Haus kostete. Oder wieviel die Stadt im Namen der Kultur- und Traditionsförderung für ihre Kadetten springen liess. Ansonsten schrieb sich MC dort den Frust vom Leib, hob den erzieherischen Zeigefinger, sinnierte über einen Drogenförderpreis für die Stadt Thun, politisierte, dankte und fluchte und forderte hartnäckig: Respect. Für die Mitarbeitenden, die schon damals für zu wenig Geld zu viel arbeiteten, für die Bands, das Haus, sich selbst. Die «Homeboys» und «Flygirls» mit den Filzstiften zum Beispiel sollten ihre Eddings doch lieber an den Migros- und Coopfassaden oder Polizeiposten spazieren führen statt im Mokka. Monat für Monat gab er alles, um die zähe Masse zu motivieren:

Also Grufties (Menschen über 29), stellt für einmal die Müesli-Korn-Mahlmaschine ab, wechselt die Birkenstock mit dem Turn- oder Lackschuh, sagt den Termin im Steinschnitzen, Aerobic, Ausdrucksmalerei ab, verschiebt für einmal die Sitzung in der Paar-Therapie und kommt mal wieder an die Allmendstrasse. O.K.?

Im Innern der Hefte dann Veranstaltungstexte und Fotos, alles in schwarz-weiss natürlich, säuberlich in Kasten ausgeschnitten und mit wilden Mustern hinterlegt. Sie geben Einblick in die reichhaltige Mischung, die das Mokka seinen Besuchenden über Jahre hinweg bot: Da war die Mokka Oberländer Regionalmusikwoche 1995 («Dieser Anlass ist nötig, wichtig und zugleich macht er allen Beteiligten einen Riesenspass»), HipHop Specials, Disco, Filmabende, Vorträge, Konzerte.

Irgendwann Mitte Neunziger passierte es dann: Dem Anliker kam ein Computer ins Haus. Wahrscheinlich unbemerkt veränderte sich die Schrift des Editorials von einem Heft zum nächsten, ohne Abdankung trat die Schreibmaschine von der Bühne. Was die Technologisierung ihm nicht nehmen konnte, war das Geschnipsel. Bis zu seinem letzten Heft arbeitete er analog. Die charakteristische Ästhetik – das simple Cover, der schwarze Balken mit dem Namen des Hauses, die Vorliebe für Comics, Stempel und fette Schrift, die Editorials – haben die Hefte bis heute beibehalten.

Das Programm im Mai steht, das Mokka öffnet seinen Garten – weitere Infos demnächst hier.

PS: Bei genauem Hinschauen findet sich auch Gastautor Kaiser als Dnepr in einem der archivierten Hefte. Viel sieht man leider nicht von ihm vor lauter Kopiererei und langen Haaren.