Noir

Das neue Theaterstück von Matto Kämpf und Christina Rast – wir halten uns den Kopf und am unteren Rücken, beim Austreten unter die Laube des an diesem Abend restlos ausverkauften Schlachthauses. Eineinhalbstunden auf Barhockern haben wir gesessen und von ganz hinten diesem Spiel gelauscht, zugesehen, gelacht – gelitten.

«Ich glaube, ich habe nichts verstanden.», sagt Frau Galizia und ich meine meinen linken Fuss nicht mehr zu spüren. Aber von Anfang an –

Die Provinz als Schaltplan – irgendwo an einer Tankstelle im Gantrisch – als Katalysator für Ideen von Ausbruch oder viel mehr Aufbruch, so liest sich die Tritthilfe zum Einstieg in das Werk im Programmheft. Und so weit, so klar – doch der vorgezimmerte Rahmen bricht schnell unter dem Gewicht dieses durchwegs kräftigen Schauspiels und schwimmt als kontextuelles Schwemmholz höchstens auf der Sense Richtung Mittelland, sprich: Die sechs Darsteller*innen, die famose Musik, das felliniesque Licht, die surrealistischen Kostüme, die erdenschöne künstlerische Atmosphäre im Allgemeinen –  das alles stiehlt bei «Noir» dem Vorsatz die Show.

Wenn es denn einen gibt, denn tatsächlich lässt sich dieses Stück – mit seiner assoziativen Aneinanderreihung von Dialogen und verzerrten Szenen – als dem Prinzip der Perlenkette verschrieben verstehen, vielmehr als dass es auf die monopolistische Strahlkraft eines fetten Klunkers setzen würde; also dem Würgegriff einer starren Aussage.

Und doch sind klare Absichten auszumachen. Zwischen absurden Miniaturen zum altbekannten Dreiklang Liebe, Macht und Geld werden zeitgenössische Allgemeinplätze um Klima, Individualismus und Sozialpsychologie wie Reibkäse über einen dampfenden Spaghettihaufen verstreut, die ganz schnell in das komplettverworrene Knäuel einschmelzen und so auch zur Wirkung kommen. Das Ernüchternde am Relativismus als denkarbeitsnivellierende Universal-Argumentationsmethode bekommt dabei sein Fett weg, ebenso wie dem leerdrehenden Geschwurbel von Politagitatoren – lustigerweise von einer narkoleptischen Polizistin verkörpert und vorgetragen – mittels eines hyperrealen Monologes der Spiegel vorgehalten wird.

Und darüber schwebt die Geschichte der Befreiung. Ein Liebespaar, das sich emanzipiert, erst zögerlich, zum Schluss mit aller Gewalt. Dann ist da plötzlich Platz, Luft und Horizont. Der einzig klassische Moment folgt – die Tragödie, der Traum ist zu schön um wahr zu werden, die Blase platzt, tschau zusammen.

Was bleibt, ist eine Dekonstruktion des Epilogs als solches zum Schluss, für dessen Aufschlüsselung mir der theatertheoretische Werkzeugkasten abgeht, und dafür die Gewissheit, dass die geniale Reduktion, die an den Requisiten vollzogen wurde (schon alleine dafür lohnt sich der Besuch) dem Stück als Ganzes gutgetan hätte. Zwanzig Minuten weniger Ungelenkes in Situationsüberblendungen, oder das Moralin gänzlich absetzen (eine überreizte Szene zum Trend Polyamorie kommt quer, weil irgendwie nicht sachte genug aufgezogen) hätten Schärfe verliehen. Würze, die gerade in der pomadigen Altjahreswoche so nötig scheint, fünfzehn Kilo weniger Speck bitte und dann wäre auch der Applaus weniger verhalten ausgefallen, verdient war das nicht –

Dass man erst meint nichts verstanden zu haben und sich danach trotzdem viele Deutungsebenen einzustellen beginnen, schleichend, ist die grosse Stärke von «Noir», als Gegenbewegung zur Tendenz immer alles zuzuspitzen, zur Quintessenz, die die vorschnelle Verbuchung auf Einzeltönen begünstigt und somit der Verkürzung das Feld ebnet. Dass einem dabei beim Sitzen etwas die Beine einschlafen, ist schade.

«Noir» wird noch bis zur Jahreskante im Schlachthaus aufgeführt. Sämtliche Vorstellungen sind ausverkauft.