«Das erste Heft habe ich 1998 gemacht. Die Sprayer schickten mir ihre Bilder per Post oder brachten sie persönlich vorbei und dann musste ich mit diesen analogen Fotos zum Grafiker, weil es nur dort einen schlauen Scanner gab und dann hat man einen halben Tag darauf gewartet, bis der Computer das PDF gerechnet hatte. Heute kann ich eigentlich alles alleine machen, bis hin zum Gut zum Druck. Aber es gibt immer Leute, die mir helfen, weil sie Bock haben auf dieses Heft und ich bin froh darum, der Aufwand ist schon gross», erklärt mir Mike im Backoffice des Layup Shop an der Monbijouallee. Es ist halbsieben an diesem nassen Socken von Mittwochabend und die Geschäftigkeit im Laden gerade dabei, von der Seligkeit kleiner Bierflaschen abgelöst zu werden.
Fünf Jahre ist es her seit dem letzten Nonstop Culture Magazine, wie das Graffitiheft offiziell heisst (vulgo Nonsi). Und es waren dynamische Jahre in der Szene. Pop-ups, Tattooläden, Repression, Familiengründungen und nicht zuletzt Hunde – Prioritäten verändern dich. Viele, die über mehrere Jahre sehr aktiv waren, haben aufgehört. Dafür hat es wohl noch nie so viele Junge gegeben, die richtig abdrehen. Zusätzlich die wenigen Unverbesserlichen, die Alten, die immer noch besser werden. Bern erlebt gerade einen Boom neuer Bilder.
«Am wenigsten habe ich den Anspruch, mit dem Heft repräsentativ zu sein. Instagram war ein Gamechanger, das hat auch die Dynamik der Dokumentation revolutioniert. Ich will das gar nicht zu sehr werten, ein Heft kann da sicher nicht mehr die Aufgabe haben, einen Überblick zu verschaffen. Viel eher will ich in die Tiefe gehen, Schwerpunkte setzen», sagt Mike.
Tatsächlich ist im Nonstop Nr.26 von den jungen Wilden wenig zu sehen, von der Generation, die mittels sozialer Medien auf etlichen Kanälen für wöchentliche Updates sorgt. Dafür findet man Interviews und Porträts von Namen und Crews, die für Konsistenz stehen. Chiffren langjähriger Kompromisslosigkeit, die dem Graffiti-Lifestyle – als bloss integralvermarktete Modebewegung – das Realitätsprinzip der radikalen Hingabe entgegnen.
Diese Gewichtung liesse noch auf andere Motive schliessen. Könnte es etwa auch um einen quasi didaktischen Impuls gehen? Eine Position entgegen dem Zeitgeist der digitalen Bildentwertung, hin zu eigentlich verlegerischen Idealen, die einerseits das Bilderecht des Künstlers respektiert und sich andererseits vorbehält, zu bestimmen, was veröffentlicht wird und was nicht? Vielleicht ist ein verantwortungsbewusster, sinnlicher Umgang mit Bildern, wofür ein Printmedium stehen sollte, auch im Untergrund.
«Ich wollte niemanden ausschliessen. Und es hätte bezüglich der Generationenfrage sicher ausgewogener ausfallen können. Dafür soll das Nonstop auch wieder regelmässiger erscheinen. Und natürlich darf es auch eine Signalwirkung haben, wie ich grundsätzlich die Sache angehe und welche Ideale dahinterstecken. Das Nonstop ist kein Spotter-Account, der superaktuell sein will. Die Regeln sind klar: Du schickst mir, worauf du hoffst, dass es veröffentlicht wird und ich wähle dann nach meinen kritischen Bedingungen aus, die aber sicher nicht bloss Geschmacksache sind. Dafür bin ich lange genug dabei, darauf kannst du vertrauen. Und so basiert das dann auch auf gegenseitigem Respekt.»
Wir wechseln dann vom Büro ins Farblager, zu den raumhohen Türmen aus Kartonschachteln und würde sich da alles Gebinde in Sekundenbruchteilen auflösen, es käme einer kleinen Sintflut an Regenbögen gleich. Die würde sich dann in den Hinterhof des Blockrands ergiessen und dem Schmalspur-Metropolis Bern City West eine kaleidoskopische Grundierung verpassen. «Ich stell mir das lieber mit Bier vor», sagt einer der Käuze, die da zwischen den Regalen rumstehen und Geschichten gurren zum Feierabend. Von Randständigen, die ihr Bettelgeld für Silberdosen aufsparen, von Cops in schwachen Momenten (oder den stärksten), die ihre geheime Liebe zum Verfolgungsgegenstand gestanden haben sollen. Von Grossmüttern, die ihren Enkel*innen im Layup Sprühlack kaufen für unter den Weihnachtsbaum oder von einem mittlerweile arrivierten Künstler, der – als Restaurator getarnt – ein eigenes illegales Bild von vor fast dreissig Jahren nachmalen konnte.
Oral History, die gesprochene Erzählung; davon lebt Graffiti mindestens so sehr wie vom Nimbus seines subversiven Potentials. Klar, dass das auch im neusten Nonstop nicht fehlen darf. So folgt man in den Textspalten illustren Namen wie Valid und Amuze auf ihren glitzerigen Spuren quer durch den Osten Europas oder Rigolos beispielloser Laufbahn über mehrere Jahrzehnte städtischer Strassenkunsthistorie.
Graffiti und seine Räuberpistolen, das mag auch langweilen – die Heldengeschichten und Hierarchien, der Chauvinismus, wer verdient was, gehört wem und wie und warum und der ganze Seich. Handkehrum – wer riskiert denn, in Zeiten der hegemonialen Selbstoptimierung, noch seinen Leumund? Nur um überall in möglichster Anonymität kryptische Farbflecken zu hinterlassen, sich die Nächte versteckt in Gebüschen um die Ohren zu hauen, auf der Suche nach etwas ausgelebter Freiheit.
Manche sagen, das sind ewig Infantile, die keine symbolische Kastration ertragen und nur in der Allmachtsphantasie, alles zu markieren, bestehen können. Andere sagen sogar: Das sind Hunde!
Bedenkt man nur schon die Reinhold Messners im Kleinformat, die sich Woche für Woche den Bergen zuwenden, um an ihre Adrenalinstösse und Freiheitsschüsse zu kommen, dann kann man vielleicht ganz froh sein, dass man in den wenigen wirklich städtischen Nischen unseres Landes tatsächlich eher auf den Hund kommt. Und dass es da noch ein Heftchen gibt, das sich dokumentarisch dem Rudel annimmt, ist eine Leistung, die über das Archivarische hinausgeht.
Das Nonstop Culture Magazine 26 – sowie einige ausgewählte und noch nicht vergriffene Ausgaben – gibt es im Layup Shop an der Monbijoustrasse 6 zu kaufen.