Nur zum Beobachten da

Eine Frau lädt mich auf einen Kaffee ein, weil sie meinen Rucksack hüten durfte, während ich zur Toilette ging. Vielleicht auch, weil sie froh ist, dass ich sie angesprochen habe und weil wir beide alleine lesen. Sie liest etwas über Sex und Essen, ich lese ihr einen Text aus «In einer Dose wohnen» von Noemi Somalvico vor. Er trägt den Titel «In irgendeiner rauen Realität einsam und mutig zu bleiben» und hört auf, sobald er angefangen hat: «Es folgt ein kurzes Video.» Das sei genau, was sie jetzt brauche, sagt die Frau und tippt Noemis E-Mail-Adresse in ihr Handy ein.

Das Büchlein trägt die Bezeichnung «unterschiedlich lange Texte». Noemi schreibt darin über den wahrscheinlich einzigen Menschen, der den Bauch seiner Mutter nie verlassen hat, über schwere italienische Hunde, die über den gebürsteten Sandstrand gezogen werden und zwei Frauen, denen zusammen «Mann Frau Scheisse» passiert. Sie lässt ihre Figuren wunderliche Dinge erleben, so selbstverständlich, dass es unverschämt ist. Eine Frau bekommt ein angefangenes Leben und ein Haus geschenkt mit der Notiz: «Sie können alles haben. Am Sonntag kommt Ruth.» Eine andere hat ihre Wohnung missverstanden, «hat in die Besteckschublade gespuckt beim Zähneputzen und unter dem Teppich geschlafen». Noemi scheint es zu mögen, ihre Lesenden auflaufen und überrascht stehen zu lassen. Wie zur Versöhnung weckt sie erfreulich unerwartete Bilder. «Ein Typ stopft zum Troste dreissig Küchlein in sich hinein. Weshalb hatte er Bedarf? ‹Gerne möchte ich›, hatte er geschrieben, ‹aus dem Leben zurücktreten wie von einem Amt.›»

Die Protagonist*innen haben selten Namen, sie sind «die Frau», «der Mann» oder auch schlicht «die Protagonistin». Das Reizvolle ihrer Geschichten liegt nicht darin, neue Gedanken- und Gefühlswelten zu erleben, sondern die Figuren in ihrer skurrilen Realität begleiten zu dürfen. Noemis direkte, einfache Sprache und die Kürze der Texte verstärken das Gefühl, man sei nur zum Beobachten eingeladen.

Apokalypse

Die Frau hat alle Lichter im Haus brennen lassen, die Milch ist in der Pfanne überkocht.
Als der Mann heimkam, sagte er viermal «so» zu sich selbst: «So, so, so, so.»
Die Frau zog die Türe hinter sich zu, um draussen in der Dunkelheit zu rauchen.

«In einer Dose wohnen» ist born and raised in Bümpliz. Die Texte entstanden in der HKB, in der Burgundersiedlung und die Druckerei Hofer in Bümpliz druckte erst 40 Exemplare, dann mehr und noch mehr. Gedacht war das Büchlein für die Bekannten und Freund*innen mit den lästigen Fragen, wie es denn um den Roman stehe, wann er rauskomme, ob man vielleicht einen Auszug lesen dürfe oder überhaupt, was sie eigentlich so schreibe. Inzwischen steht fest, dass ihr offizielles Debüt «Ist hier das Jenseits, fragt Schwein» im kommenden Februar bei Voland & Quist erscheinen wird.

Später am Abend mischt Noemi abenteuerliche Drinks. Auf Rezepte geht sie nicht, es wird süss, spritzig und Alkohol mit einem passenden Kräutlein aus dem Garten. «Deine Frisur sieht aus, als sei sie dir auf den Kopf gefallen», sagt der Nachbar zu ihr und setzt sich zu uns ans Feuer. Sie scheinen sich zu verstehen.

Noemi Somalvico lässt bald nochmal drucken – für einen Richtpreis von 15 Franken. Bestellungen an: noemi.somalvico@gmx.ch

Fotografie: Tim Rod