Warum ist eigentlich alles immer so sexualisiert, frage ich mich während ich mal wieder eine Sexkolumne schreibe, während mir Boys mit Sexfantasien in die Mailbox sliden, während mir auf Arbeit einer mal wieder viel zulange in die Augen starrt oder sonst wo hin. Warum ist alles so vulgär und immer Fleisch und Haut und Kämpfe um Körper im Internet, in der Popkultur, auf der Strasse, im Club, im eigenen Bett.
Ich brauche mal eine Auszeit, denke ich, und wende mich hilfesuchend an die institutionalisierte Hochkultur, museale Gegenwartskunst, der doch nach wie vor eine Sublimität anhaftet, zugunsten der Distanzierung vom Fleisch. Weil wie könnte einem etwas wirklich nahe gehen, was im White Cube und in Oberlichtssälen hängt, flankiert von schwarzgekleidetem Museumspersonal mit Namensschildern und glänzendem Schuhwerk. Also besuche ich auf der Suche nach Katharsis und Läuterung wieder einmal das Kunstmuseum Bern. Miriam Cahn besetzt mit «Ich als Mensch» zwei ganze Stockwerke: Eine umfassende bis monumentale Einzelaustellung.
Miriam Cahn wirft Hierarchien über den Haufen, die Skizze ist nicht weniger Wert als das Gemälde und manchmal wird die Skizze auch zum Gemälde, grossformatige Kreidezeichnungen auf Transparentpapier, bedrohlich, sie nehmen ganze Wände ein. Oder viel mehr: Besetzen. Miriam Cahn besetzt die Räume mit grossen Formaten und zum Teil eigenwilliger Hängung. Sie wirft auch Hierarchien über den Haufen, weil sie sich selbst zur Kuratorin macht, ihre Arbeit hört beim Vollenden eins Werks nicht auf, sie geht weiter mit der Auswahl, bis zum Aufbauen der Ausstellung.
Körperliche Zustände in Öl und sexuelle Akte. Nakte, Geschlechtslose mit Geschlechtsteilen. Doch nicht die erhoffte Läuterung. Ich hätte mich informieren sollen oder einfach direkt ins Naturhistorische oder sonst wo hin, wo es keine Geschlechterkämpfe, kein Fleisch gäbe. Die Gemälde im ersten Raum tragen Titel wie «fleischbild/familienbild», «liebenmüssen» oder «weiss fickt schwarz». Gewalt, Sex in intensiven, kontrastierenden Farben, hervorgehoben jeweils Augen, erigierte Schwänze und Vulven. Leuchtendrote Nippel.
Weil Miriam Cahns Arbeit immer auch begleitet ist vom Schreiben und vom Zorn, kann man auf der Fensterbank im grossen Saal in «Das zornige Schreiben» blättern, eine Sammlung von Cahns Texten und Briefwechseln. Und also taucht man da ein in zwischenmenschliche Intimitäten und Hintergründe zu ihrem Schaffen, zum internationalen Kunstmarkt und erfährt, wie es so ist, als Künstlerin zwischen Galerien, Biennalen und dem Atelier im Bergell. Wie es so ist, als politischer und zorniger Mensch.
Im Foyer des zweiten Stocks liegen bearbeitete und geschliffene Stücke von massiven Baumstämmen am Boden. An der Wand ein paar Bildschirme mit verschiedenen Slideshows. Darauf zu sehen skizzenhafte Fotografien, Point of View: Miriam Cahn interagiert mit modellierbarem Material. Sie bastelt sich einen unerigierten Schwanz, den sie umformt zu einem erigierten, ihn in den Händen hält oder an ihren nakten Körper, von oben fotografiert, wird das zum klassischen Dickpic, wie es keine Frau sehen will aber doch hin und wieder zu sehen bekommt von einem anonymen Verehrer respektive Hater aus dem Internet.
Ich bin die einzige Besucherin zwischen den erdrückenden Gemälden und Skizzen im zweiten Stockwerk und das ist eine unbehagliche Situation. Das schwarzgekleidete Museumspersonal schleicht ständig um mich herum, einer will mein Ticket sehen, ein anderer macht mich darauf aufmerksam, dass man hier nicht trinken dürfe, bevor ich überhaupt auf die Idee gekommen wäre, dies zu tun. Sobald vor mir einer mit Namensschild an der Brust auf den glänzenden Schuhen in den nächsten Raum tritt, kommt hinter mir eine andere mit Namensschild an der Brust und auf glänzenden Schuhen rein und bohrt mir ihre Blicke zwischen die Schulterblätter. Ich mache ein paar Fotos und achte panisch darauf, dass der Blitz ausgeschaltet ist. Wenn ich ausversehen mit Blitzlicht fotografierte, sie würden sich wohl zu fünft auf mich stürzen und mich zu Boden ringen, wo sie mich treten würden mit ihren glänzenden Schuhen. Dann würden sie ihre Blazer glattstreichen und sich räuspern, so dass es ein bisschen hallen würde im Oberlichtsaal.
Es wird mir zu unbehaglich und also flüchte ich mich von der durch Miriam Cahns Besetzung der Museumsräume provozierten Paranoia an den glänzenden schwarzen Schuhen, den am Boden liegenden Baumstämmen und den modellierten Schwänzen vorbei in den Museumsshop. Ich drehe noch ein wenig an den Postkartenständer und blättere im Ansichtsexemplar von Tom Kummers Roman «Nina & Tom». Auf der ersten Seite fällt mir ein Fehler auf und ich lege das Buch wieder weg. Am Ausgang muss ich nochmals an zwei Museumswächtern vorbei. Das Unbehagen begleitet mich noch durch die Strassen. Beim Bollwerk fährt ein Bus vorbei, auf dessen Rückseite ganzflächig ein Gemälde Miriam Cahns abgebildet ist, dieses blau verhüllte Gesicht, die Augen aus dem Schleier hervorstechend, im Original vielleicht knapp 50 Zentimeter hoch, hier plötzlich beängstigende zwei Meter.
Miriam Cahn besetzt das Kunstmuseum und das Kunstmuseum besetzt mit Miriam Cahn den öffentlichen Raum, mit grossformatigen Werbeflächen. Dann doch lieber zurück ins Internet oder in die Off-Spaces und Freiräume, weg vom Museumspersonal mit den Namensschildern und den gefährlich glänzenden Schuhen.